[FM4] „Meine DNA ist Mensch“. Beim Wiener FC Kurd können geflüchtete Menschen Fußball spielen – und so ein Stück Alltag erleben.
[Erstveröffentlichung: FM4] „Wenn ich Fußball spiele, vergesse ich alle Probleme“, sagt Abdel Khalek Youssef. Der 24-jährige Kurde aus Syrien ist sich sicher: „Fußball hat eine gemeinsame Sprache. Auch wenn ich nicht so gut Deutsch spreche, über den Fußball kann ich mit anderen Menschen kommunizieren.“Youssef lebt seit rund dreieinhalb Jahren in Österreich, geflüchtet ist er über die Türkei. Er erzählt, dass er auf der Flucht sieben Tage in einem Lkw eingepfercht war. Als ich Youssef frage, was er während seiner Flucht erlebt hat, bricht ihm die Stimme. Wir wechseln das Thema.
Unser Gespräch führen wir in einem Lokal im Wiener Bezirk Brigittenau, gleich neben den Trainingsplätzen des First Vienna Football Club. Draußen regnet es, heißer Tee wärmt die Glieder. Gerade ist ein Spiel des 2017 neu gegründeten FC Kurd Wien zu Ende gegangen, wo Youssef Stammspieler ist. Ein spannendes Spiel, Endstand 6:6. Doch Youssef ist enttäuscht, er hatte einen Sieg erhofft.
Ein Hund lebt besser
Und hier, beim FC Kurd darf Youssef endlich Fußballspielen: „Ich wollte eigentlich mein Leben lang Fußballprofi werden“. Aufgewachsen ist Youssef in Al Hasaka im Nordosten Syriens, an der Grenze zum Irak. „In Syrien war eine Karriere als Fußballer nicht möglich, weil ich Kurde bin“, schildert Youssef.
Das Regime hätte ihm die Staatsbürgerschaft verweigert, weil er Teil der kurdischen Minderheit war. So war er die meiste Zeit seines Lebens in Syrien staatenlos. „Auch mein Vater hat die Staatsbürgerschaft erst 2012 bekommen. Da war er schon über 60“, so Youssef.
Einmal sei er sogar zwei Wochen von der Schule verwiesen worden, nur weil er kurdisch gesprochen hatte. „Ein Hund in Österreich lebt besser als die Menschen da, wo ich her komme“, sagt er.
Die Liebe zur Sprache
Youssef sagt das ganz ruhig, er ist bedächtig und wählt seine Worte sehr präzise. Die Liebe zur Sprache kommt nicht von ungefähr: Youssef erzählt, dass er in Syrien zweieinhalb Jahre arabische Literatur studiert habe. In Österreich hat er umgesattelt und ist nun Damenkleidermacher: „Für eine Profikarriere im Fußball bin ich inzwischen leider schon zu alt.“
Doch mit seinem neuen Job ist Youssef ebenfalls extrem zufrieden. „Ich wollte schon in Syrien immer gerne etwas mit Design machen“. Gerade absolvierte er ein Praktikum bei einer bekannten österreichischen Designerin, er hofft, danach übernommen zu werden.
Wir sind bei unserem Gespräch zu viert, neben Youssef sitzen Lezkin Ali und Vereinsobmann Mazlum Qerno am Tisch. Der 20-jährige Ali schildert, dass er schon in Syrien auf hohem Niveau Fußball gespielt habe, sogar in der U18 der obersten Spielklasse. „Ich bin ein klassischer 10er“, ein Spielmacher, sagt er. Nach Österreich ist er 2015 gekommen, er musste mit seinen Eltern aus Syrien flüchten.
Die Begeisterung für das Fußballspielen hat er von seinem Vater mitbekommen. „Schon mein Vater war Tormann, Fußball war immer mein liebstes Hobby“, sagt Ali. „Jetzt möchte ich es zumindest bis in die Landesliga schaffen.“ Daneben sucht er aktuell einen Job, am liebsten als Einzelhandelskaufmann.
Angriffe am Fußballplatz
Einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurde der FC Kurd Ende Februar. Damals endete das Lokalderby im Cup gegen den FC Brigittenau in einer Eskalation. Mehrere Videos zeigen, wie Fans und Spieler des mehrheitlich türkischen FC Brigittenau Spieler und Fans des FC Kurd attackieren und regelrecht über die Tribüne jagen.
Die Attacken haben offensichtlich einen politischen Hintergrund, die kurdischen Fans sind ihr Ziel. Nach dem Ende des Spiels zeigt mindestens ein Fan des FC Brigittenau auf dem Spielfeld den Gruß der türkischen faschistischen Grauen Wölfe. Das Bild liegt FM4 vor.
Auf einem Video ist zu hören, dass bereits während des Spiels „Türkei“-Sprechchöre ertönten. Vereinsobmann Qerno sagt, dass von Fans des FC Brigittenau auch die türkische Hymne gesungen worden wäre. Ali bestätigt diese Darstellung.
Das alles sind eindeutige Botschaften in einer Zeit, wo die türkische Armee das kurdisch besiedelte Afrin in Syrien mithilfe fundamentalistischer Milizen besetzt hält, einen Bürgerkrieg gegen die kurdische Minderheit im Südosten des Landes führt und immer wieder Angriffsdrohungen gegen kurdisch besiedelte Regionen im Norden Syriens ausstößt.
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Beide gleich schuld?
Der FC Brigittenau hingegen schreibt in einer Stellungnahme, dass die eigenen Fans schlicht „beherzt auf dem Spielfeld“ gejubelt hätten. Sie hätten dann auf „unsportliche Provokationen“ der Fans des FC Kurd reagiert und „zum verbalen Gegenschlag“ ausgeholt. Danach sei es zu „Krawallen“ gekommen, der FC Brigittenau würde das Verhalten „beider Anhänger-Gruppen aufs Schärfste“ verurteilen.
Der Wiener Fußballverband verurteilt danach beide Vereine zu gleich hohen Strafen. So muss auch der FC Kurd 500 Euro unbedingt und 500 Euro bedingt bezahlen, dazu gibt es eine Spielbeobachtung bis auf Widerruf, die je Spiel 50 Euro kostet.
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Laut Hermann Oberleitner, dem Vorsitzenden des Straf- und Beglaubigungsausschuss des Wiener Fußballverbands, wird der FC Brigittenau zusätzlich aus dem Cup ausgeschlossen, dieser Passus findet sich aber im Beschluss nicht.
Oberleitner gibt gegenüber FM4 als Begründung an, dass sich einerseits beim ersten Cupspiel der beiden Mannschaften ein Ordner des FC Kurd provozieren hätte lassen, was nicht zulässig wäre. Andererseits sei es eine „Prokovation“, wenn auch „Kurdistan“-Sprechchöre angestimmt würden. Linke AktivistInnen aus Wien sehen das ganz anders.
„Gemeinsam gegen Faschismus“ steht auf einem Banner, dass sie zum Spiel am Trainingsplatz der Vienna aufgespannt haben. „Wir wollen uns mit den Spielern und Fans des FC Kurd gegen die Provokationen der türkischen Faschisten solidarisieren“, sagt ein Aktivist.
Finanzielle Probleme
Für Obmann Mazlum Qerno und die Spieler des FC Kurd ist die Bestrafung in dieser Form völlig unverständlich. Lezkin Ali sagt: „Gleich hohe Strafen für beide Vereine finde ich extrem ungerecht. Wenn wir 500 Euro Strafe bekommen, hätte es für den anderen Verein 5000 Euro geben müssen.“ Er erinnert sich: „Mir wollte ein Spieler bereits bei der Begrüßung nicht einmal die Hand geben. Das ist extrem unsportlich.“
Obmann Querno klagt über die zusätzliche finanzielle Belastung. Das gesamte Budget des Vereins beträgt laut Querno gerade einmal rund 1500 Euro im Monat. „Ein Spiel kostet uns 150 Euro für die Platzmiete, dazu kommen rund 50 Euro für den Schiedsrichter. Jetzt kommen nochmals 50 Euro für die Spielbeobachter dazu.“ Einnahmen hingegen gibt es wenige, Eintrittsgeld etwa verlangt der FC Kurd nicht.
Dazu kommen noch weitere Kosten, so Querno. „Drei unserer Spieler sind noch im Asylverfahren, die kommen aus Niederösterreich zu den Spielen. Da müssen wir jedes Mal die Fahrtkosten übernehmen.“
Mehr Nachwuchs und ein Frauenteam
Aktuell spielt der Verein in den unteren Spielklassen, in der 2. Klasse A des Wiener Fußballverbands. Doch Mazlum Qerno denkt größer. Die Nachwuchsarbeit ist Qerno dabei besonders wichtig. „Derzeit haben wir bereits fünf Mannschaften, neben der Kampfmannschaft und der Reserve sind das drei Jugendmannschaften für die U16, die U12 und die U10.“ Wenn es nach ihm geht, sollen es bald noch mehr werden.
Der Schwerpunkt auf den Nachwuchs ist dabei nur logisch. Qerno war in Syrien Französisch-Lehrer und macht in Wien aktuell eine Ausbildung als Jugendarbeiter. Kurz erzählt auch er von seiner Flucht aus Syrien.
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Einem Monat hätte seine Reise gedauert, teilweise hätte er im Wald schlafen müssen. „Ich wollte nicht weg, ich musste.“ In Wien versucht Qerno nicht nur für sich ein neues Leben aufzubauen, sondern auch für andere aktiv zu werden.
Sein nächstes Ziel? „Ich würde sehr gern auch ein Frauenteam aufstellen. In Syrien habe ich bereits zwei Frauenteams gegründet, ein Fußballteam und ein Handballteam.“ Doch aktuell fehlen noch die Sponsoren.
Ein internationales Team
Als ausschließlich kurdische Mannschaft versteht sich der FC Kurd trotz des Namens dabei überhaupt nicht. Das betont auch Spieler Ali: „Bei uns spielen Leute aus ganz verschiedenen Ländern“, sagt er. Obmann Qerno bestätigt das: „Aktuell haben wir Spieler aus aus Afghanistan, dem Iran, dem Irak, Somalia, Syrien und der Türkei.“
Für Youssef ist die Diskussion um die Herkunft ohnehin komplett zweitrangig: „Alle Menschen auf diesem Planeten haben eine gemeinsame DNA, egal, in welchem Land sie geboren sind.“
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