Viele im Zug strecken auch ihre Finger selbstbewusst in die Luft und formen einen stilisierten Tierkopf. Sowohl die drei Halbmonde wie der spezielle Gruß machen für Eingeweihte deutlich: Hier marschiert die türkische faschistische MHP, die „Partei der Nationalistischen Bewegung“. Besser bekannt ist sie unter dem Namen „Die Grauen Wölfe“.
Bild: Michael Bonvalot
Die drei Halbmonde auf rotem Grund, die auf der Demonstration gezeigt werden, sind das Parteisymbol der Wölfe. Auf einer weiteren großen Fahne ist der Hintergrund der Halbmonde grün. Das ist ein Hinweis auf die 1993 von der MHP abgespaltene „Große Einheitspartei“ (BBP), die mit dieser Farbwahl die islamische Ausrichtung stärker in den Vordergrund rückt.
Der mit den Fingern geformte Tierkopf hat ebenfalls eine tiefere Bedeutung. Es ist der Gruß und gleichzeitig Namensgeber der Grauen Wölfe. Denn es soll ein Wolf gewesen sein, der der Legende nach die türkischen Stämme im 8. Jahrhundert unserer Zeitrechnung gerettet habe, indem er sie ins mythische Ergenekon-Tal nach Zentralasien führte.
Nationalistische Provokationen
Im Anschluss an den Aufmarsch am Ring provozieren rund 20 jugendliche Nationalisten vor dem Lokal des linken kurdischen Dachverbandes FEYKOM in Wien Rudolfsheim-Fünfhaus. Auch sie zeigen dabei den „Wolfsgruß“. Dass hier vor allem Jugendliche präsent sind, ist kein Zufall.
Als viele Staaten Westeuropas ab den 1960er Jahren in der Türkei Arbeitskräfte anwarben, kauften sie nicht einfach nur Arbeitskraft. Es kamen Menschen mit ihren Vorstellungen, Wünschen und Ideen. Viele der neuen ArbeiterInnen waren politisch links stehend, sie gründeten Vereine und Verbände und unterstützten aus der Ferne die sozialen Kämpfe in der Türkei. Doch es kamen auch andere Kräfte nach Europa, die konservative oder faschistische Organisationen unterstützten.
Der „Wolfsgruß“. Bild: Michael Bonvalot
Bis Anfang der 1990er konnten die Wölfe in Österreich noch kaum öffentlich auftreten. In Wien etwa war in der türkischen Community das Bekenntnis zur MHP ein durchaus mutiges Unterfangen, zu stark war die Linke verankert. Mit dem Zusammenbruch der stalinistischen Staaten ab 1989 begann für die türkische Linke allerdings eine tiefe Krise, in dieses Vakuum stießen die Wölfe vor.
Jugendliche im Fokus
Heute rekrutiert die Partei in Österreich vor allem unter Jugendlichen der zweiten und dritten Generation, wie die langjährige Tiroler Jugendarbeiterin Banu Çelik erzählt: „Unter anderem über ihre Sportvereine gewinnen die Wölfe vor allem in Wien, Oberösterreich und im Westen des Landes massenhaft Einfluss.“
Die Wiener Jugendarbeiterin Angelika Hipfinger teilt diesen Eindruck: „In der offenen Jugendarbeit in Wien ist der Einfluss der Grauen Wölfe nicht zu übersehen. Vor allem der typische ‚Wolfsgruß‘ ist bei den Jugendlichen weitgehend bekannt.“ Ihr fällt auch auf, dass die Wölfe versuchen, sich in der Öffentlichkeit möglichst harmlos darzustellen: „Die Jugendlichen, die tatsächlich in die Kreise der Grauen Wölfe integriert sind, vermitteln eine einheitliche Botschaft, die eine offizielle Sprachregelung nahelegt: Es handle sich um keine politische Gruppierung, sondern um einen Kulturverein, der harmlose Traditionen pflege.“
Dazu passt das Auftreten der Organisationen in der Öffentlichkeit. Die meisten Aktivitäten erfolgen unter dem harmlos klingenden Namen „Türkische Föderation in Österreich“ (ATF, Avusturya Türk Federasyon). Einer ihrer Vertreter war jüngst als Teil einer Delegation sogar bei Bundeskanzler Christian Kern eingeladen. Oft treten Mitgliedsgruppen der ATF auch unter eigenem Namen auf oder verwenden den Begriff „Ülkücüler“, zu Deutsch Idealisten.
Christian Schörkhuber, Herausgeber des Buches „Grauer Wolf im Schafspelz“ schätzt das Mobilisierungspotenzial der Wölfe bundesweit auf rund 2000 von 3000 Menschen: „Mobilisiert wird vor allem über Sport- und Kulturveranstaltungen und bei Auftritten sogenannter politischer Liedermacher. Alleine in Linz können so 300 von 500 Personen mobilisiert werden.“
„Laufende Provokationen“
Auch nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei marschierten türkische Nationalisten in Wien auf. Wieder waren viele Jugendliche beteiligt, wieder kam es zu Provokationen und Übergriffen. So wurde etwa das Lokal der kurdischen Restaurant-Kette Türkis auf der Mariahilferstraße angegriffen.
Ruken Eraslan vom kurdischen Dachverband FEYKOM berichtet, dass solche Übergriffe in den vergangenen Monaten drastisch zugenommen haben: „Es gibt mittlerweile eigentlich laufend Provokationen von türkischen Nationalisten gegen kurdische und türkische linke Kundgebungen und Strukturen.“
Auch Drohungen, insbesondere in den sozialen Netzwerken, hätten stark zugenommen, so die Aktivistin. Übergriffe durch türkische Nationalisten sind dabei kein neues Phänomen. Denn die MHP hat eine lange blutige Geschichte der Übergriffe auf Linke und Minderheiten und ein klares faschistisches Profil.
Die Idealisten
Die Geschichte der Grauen Wölfe beginnt im Jahr 1964. Der ehemalige Oberst Alparslan Türkeş übernahm mit seinen Gefolgsleuten die bis dahin unbedeutende Bauernpartei. In den folgenden Jahren sollte Türkeş als neuer Başbuğ (Führer) aus der nun MHP genannten Partei eine der erfolgreichsten und brutalsten faschistischen Bewegungen nach 1945 formen. Selbst nannten sie sich Ülkücüler, die Idealisten.
Türkeş war kein unbeschriebenes Blatt. Sein Name taucht zum ersten Mal während des Zweiten Weltkriegs auf. 1944 schrieb das Hauptquartier der Staatssicherheitspolizei in Berlin einen Bericht an das Auswärtige Amt. Darin wurden die guten Beziehungen der Nazis zu Türkeş betont und er als einer der wichtigsten potentiellen Verbindungsmänner für das NS-Regime betont: „bei richtigem Einsatz dieser Personen [bestehen] unerschöpfliche Möglichkeiten“.
Als sich abzeichnete, dass die Achse Berlin-Rom-Tokio den Krieg verlieren würde, ging die türkische Regierung, die bis dahin eine wohlwollende Neutralität gepflegt hatte, auf Distanz zum NS-Regime. Türkeş und einige andere Nazi-Unterstützer wurden pro forma verhaftet und verurteilt, in der Berufungsverhandlung im April 1945 aber bereits wieder freigesprochen. Im beginnenden Kalten Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion war Türkeş als strammer Antikommunist hochwillkommen und konnte weiter politisch agieren. Bereits 1960 war er führend an einem rechten Militärputsch beteiligt.
Tausende werden ermordet
Mit seiner neuen Partei, der MHP, baute Türkeş ab 1968 große paramilitärische Verbände auf. Diese Truppen nach dem Muster von SS-Einheiten gaben der Partei auch ihren zweiten Namen: die Grauen Wölfe. Über 100.000 Menschen sollen in den Lagern der Wölfe ausgebildet worden sein. Bald zeigten sich die ersten Auswirkungen dieser Ausbildung: Zwischen 1968 und 1971 ermordeten die Wölfe mehrere Dutzend KommunistInnen, GewerkschafterInnen und andere fortschrittliche AktivistInnen.
Trotz dieser Repressionswelle wurde die Linke im Land stärker. Die konservativen Parteien reagierten und machten Türkeş 1975 zum stellvertretenden Ministerpräsidenten. Damit war ihm unter anderem der türkische Geheimdienst MIT unterstellt. Seine „Idealisten“ konnten nun ungestraft zu Werke gehen. Zwischen 1975 und 1979 ermordeten die Wölfe über 3000 Menschen, teilweise in offensichtlicher Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst.
Unter dem Vorwand der unsicheren Lage im Land wurde schließlich das Kriegsrecht verhängt. Die Polizei begann mit Massenverhaftungen, Folterungen und dem Verbot linker und demokratischer Organisationen und Zeitungen. Im Oktober 1980 schließlich putschte das Militär, die MHP hatte ihr Ziel erreicht. Rund 200.000 Oppositionelle, vor allem Linke, wurden verhaftet, zehntausende wurden gefoltert, viele starben in den Folter-Gefängnissen der Militärjunta.
Gladio: Das Schwert schlägt zu
Auffallend bei den Ereignissen in der Türkei war, wie sehr sie Abläufen in anderen Ländern glichen. Auch in Italien oder Deutschland erzeugten faschistische Gruppen in diesem Zeitraum mit Attentaten ein Klima der Angst und Unsicherheit. Ziel war oftmals eine größtmögliche Menge unbeteiligter Opfer. So starben etwa bei einem Anschlag auf den Bahnhof im „Roten Bologna“ 85 Menschen, bei einem Anschlag auf das Münchner Oktoberfest 13 Menschen .
Ziel war dabei eine Verschiebung der politischen Landschaft nach rechts. In Italien sollte das Erstarken der Linken verhindert werden, der Anschlag in Deutschland im September 1980 sollte laut „Spiegel“ den extrem rechts-konservativen Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß im Wahlkampf stärken.
Später wurde bekannt, dass diese sogenannte „Strategie der Spannung“ in verschiedenen Ländern von faschistischen Organisationen und konservativen Eliten mit Unterstützung der NATO-Geheimstruktur „Gladio“ (Schwert) umgesetzt worden war. Auch in der Türkei hatten NATO und USA ihre Hände im Spiel und förderten schließlich auch den Militärputsch 1980.
Die Wölfe und die Mafia
Nach dem Militärputsch im September 1980 waren die rechten Paramilitärs zum Ballast geworden und wurden für eine gewisse Zeit zurückgedrängt. Ein Teil der Wölfe trat daraufhin in rechts-konservative Parteien ein, andere wendeten sich religiösen Gruppen zu – und viele organisierten sich in Mafia-Banden. Relevante Teile des Heroin-Handels in Europa wurden in Folge von Mafia-Strukturen organisiert, die den Grauen Wölfen nahestehen.
Filmisch verarbeitet wird das im Thriller „Das Imperium der Wölfe“ aus dem Jahr 2005. Jean Reno brilliert in der Hauptrolle, die Verstrickungen der Wölfe werden anschaulich dargestellt. Mit den enormen Summen, die aus dem Drogenhandel gewonnen wurden, konnten wiederum die Aktivitäten der Wölfe finanziert werden. Und gerade im Kampf gegen die kurdische Minderheit gab es dabei viele gemeinsame Interessen mit dem türkischen Staat.
Das Ausmaß dieser Zusammenarbeit von Staat, Mafia und Grauen Wölfen wurde 1996 einer breiten Öffentlichkeit bekannt, als in der westtürkischen Kreisstadt Susurluk, 300 Kilometer südlich von Istanbul, ein PKW in einen Lastwagen raste. Der darauf folgende „Susurluk-Skandal“ sollte in der Türkei ein politisches Erdbeben auslösen.
Denn in diesem schwarzen Mercedes 600 starben der von Interpol gesuchte Drogenhändler und Wölfe-Führungskader Abdullah Çatli, dessen Geliebte Gonca Us sowie der stellvertretende Istanbuler Polizeipräsident und Kommandeur von Anti-Guerilla-Einheiten, Hüseyin Kocadağ. Schwer verletzt überlebte Sedat Bucak, Abgeordneter der Regierungspartei DYP, dessen 10.000 Mann starke Miliz gegen die kurdische PKK kämpfte.
Der Drogenhändler Çatli war eine Schlüsselfigur der Wölfe gewesen. Er galt in den 1970ern als Nummer zwei der Wölfe und hatte unter anderem 1979 dem MHP-Auftragskiller und späteren Papst-Attentäter Mehmet Ali Ağca zur Flucht aus einem Gefängnis verholfen.
Bedeutender Einfluss
Heute ist die MHP in der Türkei eine Großpartei. Bei den Regionalwahlen im April 2014 bekam sie rund 18% der Stimmen, bei den letzten Präsidentschaftswahlen im November 2015 11,9%. Die MHP ist vor allem in einzelnen Regionen am Mittelmeer und am Schwarzen Meer gut verankert, teilweise hat sie dort sogar absolute Mehrheiten. In Österreich stimmten bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen rund 7 % für die MHP.
Es gibt in der Türkei vielfältige Fäden der Wölfe ins Establishment, ins Militär und zu anderen Parteien. Bei den Präsidentschaftswahlen 2014 etwa stellten die MHP und die Republikanische Volkspartei CHP sogar einen gemeinsamen Kandidaten auf. Das pikante daran: Die CHP ist die türkische Mitgliedspartei der Sozialistischen Internationale und somit Schwesterpartei der SPÖ.
Verbindungen zu Konservativen und Sozialdemokraten
Auch andere haben wenig Berührungsprobleme mit den türkischen FaschistInnen. So traf sich die deutsche Bundeskanzlerin Merkel bei einem Ankara-Besuch im März 2010 mit dem aktuellen MHP-Parteivorsitzenden Devlet Bahçeli, der das Amt 1997 nach dem Tod des historischen Führers Alparslan Türkeş übernommen hatte. Ein Hintergrund dafür dürfte sein, dass die Wölfe in Deutschland seit einigen Jahren gezielt in die CDU von Kanzlerin Merkel eintreten und dort offenbar ein nicht zu unterschätzendes Stimmenpotential für die konservative Politikerin bilden.
In Österreich gibt es ebenfalls Verbindungen der MHP zu den etablierten Parteien. So lobte etwa der Wiener ÖVP-Funktionär Mustafa Iscel im Zuge einer Veranstaltung der Wölfe-Vorfeldorganisation ATF im Wiener Gasometer die Organisation und sprach im Namen der ÖVP-Bezirksorganisation Favoriten seine Unterstützung aus.
In Linz arbeitete die Sozialdemokratie trotz vehementer Proteste über viele Jahre mit dem Verein Avrasya zusammen, dem Linzer Ableger der ATF. Erst als im Frühjahr dieses Jahres ein Funktionär von Avrasya im ehemaligen KZ Mauthausen mit dem Wolfsgruß posierte, wurde der Verein aus dem Integrationsbeirat der Stadt ausgeschlossen.
Brandgefährlich
Die NationalistInnen sind dabei heute keineswegs weniger gefährlich als früher. 2007 wurde der türkisch-armenische Journalist Hrant Dink erschossen, nachdem er den Völkermord an der armenischen Minderheit während des Ersten Weltkriegs angeklagt hatte. 2013 wurden im Pariser Kurdistan-Informationsbüro drei Aktivistinnen der PKK ermordet. Spuren des Mordes führen in beiden Fällen zu Geheimdiensten und in das Milieu der Grauen Wölfe.
In Österreich kam es bisher nicht zu Attentaten, doch es gibt immer wieder gewalttätige Übergriffe. So wurde Ende Juni bei einer Kundgebung der Feykom in Linz eine kurdische Aktivistin schwer verletzt.
Für Autor Christian Schörkhuber geht die Gefahr dabei über unmittelbare Mitglieder der Vereine hinaus. „Die große Gefahr ist für mich dabei eine ideologische. Viele Jugendliche werden radikalisiert.“ Auch die Symbole der Organisation seien weit verbreitet, so Schörkhuber: „Für viele Jugendliche steht der Wolfsgruß schon synonym für die Türkei.“ Ruken Eraslan von der kurdischen FEYKOM teilt diese Einschätzung: „Aus unserer Sicht ist auch eine Differenzierung hinsichtlich des Gefahrenpotenzials zwischen der AKP und den Grauen Wölfen kaum mehr möglich.“
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