Corona darf nicht zum allmächtigen Überwachungsstaat führen

Bild: Michael Bonvalot

Wir beginnen, uns in der Corona-Krise an demokratische Einschränkungen zu gewöhnen, die vor Kurzem noch völlig undenkbar schienen. Und das ist keine gute Nachricht.

Gleich zu Beginn und für alle Aluhüte: Corona ist eine scheißgefährliche Lungenkrankheit. Menschen sterben. Es ist sinnvoll, sich selbst und andere durch soziale Distanzierung zu schützen. Wer unvernünftig handelt, gefährdet sich und andere. Die notwendige Vernunft darf aber nicht dazu dienen, in Windeseile alle rechtsstaatlichen Prinzipien über Bord zu werfen.

Soll die Polizei in Wohnungen eindringen dürfen?

Besonders in den Fokus gerückt ist der sogenannte Oster-Erlass des Gesundheitsministeriums unter Minister Rudolf Anschober (Grüne). Dieser Erlass wurde am 4. April veröffentlicht – und bereits am 6. April nach massiven Protesten wieder zurückgezogen. Wörtlich hieß es darin, dass die Bezirksverwaltungsbehörden „sämtliche Zusammenkünfte in einem geschlossenen Raum“ untersagen sollen, „an denen mehr als fünf Personen teilnehmen, die nicht im selben Haushalt leben“. Doch wie hätte sich der grüne Minister die reale Kontrolle dieses Erlasses vorgestellt?

Bisher waren Hausdurchsuchungen durch die Polizei sehr eindeutigen Regeln und Beschränkungen unterworfen. Sollte die Polizei künftig einfach in jede private Wohnung eindringen können und dort die Personalien aller Anwesenden kontrollieren?

Bild: Michael Bonvalot

Der bekannte Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk sagte jedenfalls: „Das geht zu weit.“ Es gebe keine gesetzliche Grundlage dafür – auch nicht das Epidemiegesetz, das sich lediglich auf öffentliche Veranstaltungen bezieht. Das Gesetz ermächtige niemanden dazu, Verbote in privaten Räumen auszusprechen, es gehe um Veranstaltungen. Für den Verfassungsjuristen ist der Erlass eine „Beeinträchtigung der Privatsphäre“, die zwar bei Hausdurchsuchungen zulässig wäre, doch nicht in diesem Fall.

Verpflichtende App auf allen Handys?

Auch die Debatte um die Corona-HandyApp des Roten Kreuzes sorgt zunehmend für Unmut. Wenn es nach Nationalratspräsident und Ex-Innenminister Wolfgang Sobotka von der ÖVP geht, soll diese App zur Verpflichtung werden. Dafür sprach er sich im Interview mit dem Profil aus – und ruderte ebenfalls erst nach einem Aufschrei zurück.

Was ist in Österreich nun wirklich erlaubt und was ist verboten?

Damit eine solche Massenüberwachung rein technisch funktioniert, müsste das Smartphone (mit genug Strom) überall hin mitgenommen werden. Darüber hinaus klappt das Ganze natürlich nur für Menschen, die ein entsprechendes Mobiltelefon besitzen und ausreichend bedienen können. Laut Kurier sollten diejenigen, die kein entsprechendes Smartphone besitzen oder nicht damit umgehen können, „einen Chip auf den Schlüsselbund bekommen“ (5. April, Printausgabe).

Und was sollte mit den Menschen passieren, die die App nicht zwangsweise verwenden (wollen)? Die wenig vertrauenserweckende Antwort des Ex-Innenministers: Damit hätte er sich „noch nicht auseinandergesetzt“.

Die Datenschutz-Organisation Epicenter Works hat sich mit der App des Roten Kreuzes bereits auseinandergesetzt und spricht einige Warnungen aus. So wurde die App von der Uniqa Stiftung finanziert, „also einer Organisation, die einer privaten Krankenversicherung nahesteht“, wie Epicenter warnt.

Die Corona-App des Roten Kreuzes, der Uniqa-Konzern und die ÖVP

Darüber hinaus ist die App aktuell nicht open-source. Das bedeutet: Der Quellcode kann nicht von unabhängigen ExpertInnen überprüft werden.

Der Staat hat derzeit einen enormen Machtgewinn

Es liegt in der Natur von Polizei und Überwachungsbehörden, dass sie gerne möglichst viele und möglichst umfangreiche Überwachungsmöglichkeiten zur Verfügung haben. Gleichzeitig sind die Beispiele, wo Polizei und Überwachungsbehörden freiwillig auf solche Methoden verzichten, wohl an nur sehr wenigen Fingern abzuziehen (wenn ein/e LeserIn ein solches Beispiel kennt, bitte um Nachricht!)

Steigt der Polizei die neue Macht zu Kopf?

Wie sehr die Polizei und einzelne Polizistinnen den aktuellen Macht-Zuwachs genießen, zeigen zahllose Videos und Berichte in den sozialen Medien. Regelmäßig tauchen neue Fälle auf, wo PolizistInnen Anzeigen androhen oder aussprechen, obwohl sich die betreffenden Personen völlig rechtskonform verhalten haben – beispielsweise, wenn sie allein auf einer Wiese gesessen sind, was nach der COVID-19-Verordnung des Gesundheitsministeriums völlig in Ordnung sind. Hier habe ich einige dieser Fälle aufgeschrieben.

Warum hält sich die Polizei nicht an Gesetze?

Der Kurier berichtet sogar von Lautsprecher-Durchsagen der Polizei mit dem Inhalt: „Der Aufenthalt im Freien ist verboten. Die Bundesregierung fordert Sie auf, sich nachhause zu begeben.“ Ähnliche Videos kursieren in den sozialen Medien. Rechtlich sind solche Aussagen der Polizei schlichtweg kompletter Unsinn.

Tirol zeigt, was passiert, wenn Politik und Industrie zusammengewachsen sind

Auf Nachfrage des Kurier relativiert die Polizei dann, dass es doch „vernünftig“ wäre, „wenn auf Empfehlungen der Regierung hingewiesen wird“. Das ist ein Argument aus der Hölle: Die Polizei gibt völlig rechtswidrige Lautsprecher-Durchsagen ab – und wenn jemand kritisch nachfragt, werden die Polizei-Befehle auf einmal zur vernünftigen Empfehlung. Was in Österreich übrigens aktuell tatsächlich erlaubt ist und was verboten, könnt ihr hier lesen.

Es stellt sich aber hier auch noch eine andere Frage: Wie kann es eigentlich sein, dass die Polizei offenbar laufend rechtswidrige Anordnungen gibt? Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder werden die PolizistInnen völlig unzureichend geschult oder es ist ihnen schlichtweg egal, welche gesetzlichen Regelungen gelten. Beide Möglichkeiten sind äußerst beunruhigend.

Schritt für Schritt

Gleichzeitig nützt die Polizei die Corona-Krise für militaristische Paraden durch österreichische Städte, bei denen patriotische Lieder („from Austria“) durch die Lautsprecher tönen. Das Bundesheer postet inzwischen ein Bild mit schwer bewaffneten Miliz-SoldatInnen – die offenbar das Corona-Virus erschießen sollen.

Viele Maßnahmen, die aktuell getroffen werden, machen aus gesundheitspolitischer Sicht tatsächlich Sinn. Andere, wie etwa die Polizei-Paraden, sind schlichtweg sinnlos, verbrauchen unnötig Benzin und verschlechtern die Feinstaub-Bilanz.

Weiter denken!

Selbstverständlich muss die Forderung sein, dass nach dem Ende des Corona-Krise alle aktuellen Maßnahmen komplett zurückgenommen werden. Doch gleichzeitig sollten wir auch während der Corona-Krise das kritische Denken nicht verlernen. Stellen wir uns vor, was noch vor wenigen Wochen – aus guten Gründen! – los gewesen wäre, wenn ein Erlass des grünen Gesundheitsministers den Weg für die Polizei geöffnet hätte, ohne konkreten Verdacht in jede Wohnung in Österreich einzudringen.

Österreich ist nicht Ungarn. Dennoch sollte es uns eigenes warnendes Beispiel dienen, wie schnell die ÖVP-Schwesterpartei FIDESZ in Ungarn real eine Diktatur durchgesetzt hat – und dass Bundeskanzler Sebastian Kurz sich dazu nicht einmal äußern will.

Wir beginnen, uns in der Corona-Krise an demokratische Einschränkungen zu gewöhnen, die vor Kurzem noch völlig undenkbar schienen. Und das ist keine gute Nachricht.

(Am 6. April aktualisiert um neue Entwicklungen hinsichtlich Oster-Erlass und Rückzieher von Sobotka.)

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