Auf der Burg am Wiener Leopoldsberg prangt eine Gedenktafel mit einem Hakenkreuz-ähnlichen Symbol. Der Eigentümer Stift Klosterneuburg sieht kein Problem und beruft sich auf den Verfassungsschutz. Das Hakenkreuz sei „eines der ältesten Symbole der Welt“.
Der Leopoldsberg am Stadtrand von Wien ist ein beliebtes Ausflugsziel für die BewohnerInnen der Bundeshauptstadt. Mit dem Bus dauert es nicht lange von der U-Bahn-Station Heiligenstadt. Wer es gesünder will, wandert zu Fuß. Belohnt werden die AusflüglerInnen mit einem wunderschönen Blick über die Stadt.
Am Leopoldsberg thront auch eine altehrwürdige Burg, sie gehört seit Jahrhunderten dem katholischen Stift Klosterneuburg. Das Stift ist einer der größten Grundbesitzer Österreichs. Nach einer langen Sperre – an der es immer wieder Kritik gab – ist die Burg seit 2018 wieder öffentlich zugänglich.
Ebenfalls frisch herausgeputzt wurde offenbar eine Gedenktafel, die in die Burgmauer eingelassen ist. Und diese Tafel sollte mehr als verwundern.
Ist das ein Hakenkreuz?
Denn unten auf der Tafel prangt ein sehr eindeutiges Symbol, es erinnert verdächtig an ein Hakenkreuz. Vier Haken, auch die Richtung stimmt. Erst, wer sehr genau hinsieht, der bemerkt: Die vier Kreuze bilden gleichzeitig vier Mal den Buchstaben F.
Dazu finden sich auf der Tafel ein Relief des berüchtigten deutschnationalen „Turnvaters“ Friedrich Ludwig Jahn, dessen Name sowie der Text: „Dem Turnvater zum 150. Geburtstage“. Schließlich der Hinweis auf die Stifter der Gedenktafel: „Der vierte Wiener Turnbezirk“ und die Jahreszahl 1928.
„Mischlinge von Tieren“
Damit ist die Tafel ziemlich eindeutig als Gedenkort einschlägig deutschnationaler Turnerkreise identifizierbar. Die vier F, sie stehen für die Worte „Frisch – Fromm – Fröhlich – Frei“. Jahn hatte diesen Wahlspruch unter anderem mit seinem Buch „Die deutsche Turnkunst“ populär gemacht.
Der Kontext der Tafel ist mehr als klar, das Hakenkreuz-ähnliche Symbol kein Zufall. Der 1778 geborene Jahn war nicht nur Begründer der TurnerInnenbewegung im deutschsprachigen Raum. Er war auch Deutschnationaler, Rassist und Antisemit. „Mischlinge von Tieren“, schreibt Jahn etwa, „haben keine echte Fortpflanzungskraft und ebenso wenig Blendlingsvölker ein eigenes volkstümliches Fortleben.“
Ziel: „Ein deutscher Mann werden“
Sogar das offizielle Friedrich-Ludwig-Jahn Museum im deutschen Freyburg muss zugeben, dass Jahn „judenfeindliche Äußerungen“ getätigt hätte. Auch das Turnen, für das Jahn berühmt geworden ist, ist keineswegs so unbedenklich, wie es scheint. Denn die körperliche Betätigung hatte für Jahn eindeutig politischen Charakter.
„Des Deutschen Knaben und Deutschen Jünglings höchste Pflicht ist, ein Deutscher Mann zu werden und zu bleiben, um für das Volk und Vaterland kräftig zu wirken“, erklärte Jahn. Es verwundert bei solchen Aussagen nicht, dass Jahn bis heute nicht nur in – oft weit rechten – Turnerverbänden verehrt wird, sondern auch in den Burschenschaften.
Jahn war Gründer der Burschenschaften
Hier kommt aber noch ein anderer und enorm wesentlicher Aspekt dazu: Denn Jahn war nicht nur Turner, sondern auch einer der zentralen Gründer und Vordenker der deutschnationalen Burschenschaften.
Ab 1811 fassten Jahn und sein Kamerad Karl Friedrich Fries den ersten Plan zur Gründung einer Burschenschaft. Jahn wollte damit „den deutschen Sinn beleben“, zeigt sich der extrem rechte Dachverband „Deutsche Burschenschaft“ bis heute begeistert. Am Leopoldsberg werden all diese Hintergründe nicht erwähnt. Dort gibt es ausschließlich kritiklose Heldenverehrung.
Zusätzlich brisant ist das, weil der Leopoldsberg seit einigen Jahren zunehmend zu einem rechten Aufmarschpunkt wird. Insbesondere die neofaschistische Gruppe „Identitäre“ hat dort bereits mehrmals Aufmärsche versucht oder durchgeführt. Hier findet ihr meinen Bericht vom Aufmarsch-Versuch 2019, hier vom Aufmarsch 2017 und meiner folgenden Klage gegen die Wiener Polizei (der Fall ist inzwischen beim Verwaltungsgerichtshof und noch nicht entschieden).
Stift Klosterneuburg: „nichts mit Antisemitismus zu tun“
Eigentümer der Burg am Leopoldsberg ist das Stift Klosterneuburg. Für die katholischen Grundbesitzer stellt die Gedenktafel keinerlei Problem dar. In meiner schriftlichen Anfrage erwähne ich den „bekannten Antisemiten Friedrich Ludwig Jahn“ und ersuche um eine Stellungnahme zum Hakenkreuz-ähnlichen Symbol auf der Gedenktafel.
Als Antwort schreibt mir Walter Hanzmann, der Sprecher des Stifts: „Die von Ihnen angesprochene Gedenktafel des Hern (sic!) Friedrich Jahn hat nichts mit Antisemitismus zu tun. Darüber gibt es auch diverse gerichtliche Beurteilungen. Wenn Sie hierzu recherchieren, dann werden auch Sie dies feststellen können.“
Eine – freundlich formuliert – überraschende Beurteilung. Wir erinnern uns, sogar das Jahn-Museum schreibt von „judenfeindlichen Äußerungen“. Zum Hakenkreuz-ähnlichen Symbol äußert sich Hanzmann nicht, die „diversen gerichtlichen Beurteilungen“ belegt er nicht.
Meine erste Nachfrage an Sprecher Hanzmann zum Symbol auf der Tafel und zu angeblichen „gerichtlichen Beurteilungen“ bleibt unbeantwortet. Eine zweite Nachfrage bringt dann ein erstaunliches Ergebnis.
„Das Hakenkreuz (…) ist eines der ältesten Symbole der Welt“
Denn nun schreibt mir der Sprecher der Stift Klosterneuburg: „Das Hakenkreuz oder Sonnenrad ist eines der ältesten Symbole der Welt, dessen sich der Nationalsozialismus u.a. bedient hat. So wie auch (sic!) mit dem Gruß ‚Heil‘, der heute noch in Vorarlberg zur gängigen Begrüßung gehört, aber die Vorarlberger deswegen nicht einer Verherrlichung des Nationalsozialismus nachhängen.“
Hanzmann hält sich also gar nicht mit der Frage auf, ob es sich beim Vier-F-Kreuz um ein Hakenkreuz handelt. Sondern er greift gleich ins Volle. Die Begründung ist dabei mehr als bemerkenswert.
Ab 1920 Symbol der NSDAP
Lorenz Jaeger hat sich intensiv mit dem Hakenkreuz und seiner Geschichte auseinandergesetzt. Er hat dazu sogar ein eigenes Buch geschrieben, „Das Hakenkreuz„. Sein Befund ist eindeutig: Spätestens ab dem Jahr 1900 war das Hakenkreuz als eindeutig rechtes Symbol etabliert. Es stand für Germanentum und Antisemitismus, seit 1917 auch für den faschistischen Kampf gegen die ArbeiterInnenbewegung.
Die Identitären und der japanische Faschismus – Ein Code für Putsch, Gewalt und Diktatur
Ab 1920 schließlich verwendete die NSDAP das Hakenkreuz als Symbol der nationalsozialistischen Bewegung. Kurz gesagt: Wer im Jahr 1928 eine Gedenktafel mit dem Hakenkreuz-ähnlichen Vier-F-Kreuz anbrachte, wusste, was er oder sie tat.
Das Sonnenrad, das Walter Hanzmann vom Stift Klosterneuburg ebenfalls erwähnt – und fälschlicherweise offenbar mit dem Hakenkreuz gleichsetzt –, wird insbesondere seit 1945 in eingeweihten extrem rechten Kreisen sehr gern als Ersatz für das Hakenkreuz verwendet. Ich habe die Rolle des Sonnenrads daher bereits in mehreren Artikeln beschrieben, etwa hier, hier oder hier.
Warum Hanzmann aber in diesem Zusammenhang das Sonnenrad ins Spiel bringt, ist unklar. Ich hatte es in meinen Anfragen nirgends erwähnt.
Gerichtliche Beurteilungen?
Gleichzeitig wird Hanzmann scheinbar zunehmend ungehalten: „Wie kommen Sie zur Behauptung dass die Gedenktafel etwas mit Antisemitismus oder Nationalsozialismus zu tun hat?“
Mehrmals will der Pressesprecher in verschiedenen Mails, dass ich mich vor ihm rechtfertige: „Mit welchen fachlich anerkannten Begründung (sic!) untermauern Sie eigentlich Ihre uns nicht nachvollziehbaren Behauptungen?“
Eigentlich ist der Job von PressesprecherInnen, der Presse Auskunft zu geben und nicht „Rechtfertigungen“ für Anfragen zu verlangen. Das dürfte Hanzmann entgangen sein. Meine Nachfrage zu den angeblich vorhandenen „gerichtlichen Beurteilungen“ beantwortet Hanzmann hingegen trotz mehrerer Nachfragen nicht.
Stift Klosterneuburg kannte das Problem spätestens 2013
Stattdessen schickt mir Hanzmann ein Mail eines Mitarbeiters des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) vom 18. September 2013. Eine Nachfrage zur Verifizierung beim BVT blieb unbeantwortet.
Aus dem Schreiben geht hervor, dass das Stift Klosterneuburg sich der Brisanz der Gedenktafel und des Vier-F-Kreuzes bereits damals absolut bewusst war. Denn laut dem Schreiben hatte der Leiter der Liegenschaftsverwaltung des Stifts im September 2013 beim BVT angefragt, ob das Symbol verboten sei.
Auffallend sind dabei die internen Mailadressen des Stifts. Eine davon lautet „epost@stift-klosterneuburg.at“. Der eingedeutschte Begriff „epost“ für E-Mails wird besonders gerne in burschenschaftlichen Kreisen verwendet.
Der Verfassungsschutz gibt dann eine ausschließlich rechtliche Beurteilung. (Nochmals muss darauf hingewiesen werden, dass das E-Mail nicht unabhängig verifiziert ist.) Primär wird ausgeführt, dass es 1988 ein Verfahren gegen den „Österreichischen Turnerbund“ (ÖTB) gegeben hätte. Dieses hätte zum Ergebnis geführt, dass das Vier-F-Kreuz nicht verboten sei. Unklar ist, ob das BVT dabei möglicherweise tatsächlich ein Urteil aus dem Jahr 1998 meint, dazu gleich mehr.
Ist das Vier-F-Kreuz legal?
Rein rechtlich, da hat der BVT recht, ist das Vier-F-Kreuz vermutlich nicht verboten – wobei es sicherlich interessant wäre, im Zuge einer nochmaligen Anzeige zu überprüfen, ob frühere Urteile halten.
Eines davon ist in den 1990er Jahren gegen die Sozialistische Jugend (SJ) ergangen. Damals war der rechte „Österreichische Turnerbund“ (ÖTB) verstärkt in den Fokus antifaschistischer Organisationen gerückt. Der hatte das Vier-F-Kreuz auch nach 1945 weiter verwendet.
In Wels und Wien führte die trotzkistische Sozialistische Linkspartei (SLP) über mehrere Jahre eine Kampagne gegen den ÖTB und seine einschlägigen Symbole. Die SJ startete ebenfalls eine Kampagne gegen „braune Flecken“ und brachte auch eine Anzeige wegen Verstoß gegen das Abzeichengesetz ein.
Gericht entscheidet für Vier-F-Kreuz
Der ÖTB klagte allerdings als Reaktion auf die Kampagne der SJ, die SP-Jugend wurde 1998 zu Unterlassung, Widerruf und Erstattung der Gerichtskosten verurteilt. Wie laut Standard aus damaligen Medienberichten hervorgeht, war die Begründung, dass das auf ÖTB-Plakaten verwendete Vier-F-Kreuz nicht den Eindruck erwecke, dass der Turnerbund das Hakenkreuz verwende.
Dennoch brachten die antifaschistischen Proteste wohl einen Erfolg: Denn immerhin traf der ÖTB in den 1990er Jahren die Entscheidung, das Vier-F-Kreuz nicht mehr zu verwenden. Das gab der damalige ÖTB-Obmann Karl Kolar 2013 gegenüber dem Standard an.
Doch bis heute gibt es in Österreich eine ganze Reihe von Denkmälern und Gedenktafeln, wo das Vier-F-Kreuz zu finden ist. Neben dem Leopoldsberg laut BVT unter anderem am Jauerling in der Wachau, in Tulln, in Orth an der Donau sowie auf und in verschiedenen Turnhallen (die meist vom ÖTB betrieben werden).
März 1938: „Vor allem Männer aus dem Turnerlager“
Der ÖTB steht dabei nicht zufällig immer wieder im Fokus. Denn einschlägige Turnverbände spielen bereits seit der ersten Republik eine wesentliche Rolle im Aufbau der deutschnationalen Bewegung.
Kurze Burschenschafter-Wege vom Neonazi-Security zur FPÖ-Spitze
Vor dem Zweiten Weltkrieg bildeten die „deutschen Turnvereine oft die Zentren des Aufbaus nationalsozialistischer Gemeinschaften“, erklärt der Wiener Sporthistoriker Matthias Marschik. Er ist Autor des Standardwerks „Sportdiktatur“ über Sport im NS-Regime.
Sogar die Machtübernahme durch die Nazis im März 1938 hätten in der Praxis „vor allem Männer aus dem Turnerlager“ kontrolliert, so Marschik. Die einschlägigen Turnhallen wären die Aufmarschpunkte für die Kampfverbände der NSDAP, der SA und der SS gewesen.
Vorfeldorganisation der FPÖ
Nach 1945 wurde die Tradition des deutschnationalen Turnlagers in Österreich dann vom ÖTB weitergeführt. Das passiert auch keineswegs verborgen: „Das Bekenntnis zum Volkstum und damit zur geschichtlich gewachsenen deutschen Sprach- und Kulturgemeinschaft ist der Ausdruck des Verwurzeltseins des Turnens in der Gemeinschaft.“
So heißt es in der „Bundesturnordnung“ des ÖTB in der Fassung von 1994. Abrufbar ist sie ganz öffentlich auf der Homepage des ÖTB.
Zur ÖTB-Turnhalle geht es nach rechts
Bis heute ist der ÖTB vermutlich die wichtigste und breitenwirksamste Vorfeldorganisation des dritten Lagers. Die zahlreichen Turnvereine der Organisation in ganz Österreich wirken oft komplett unverdächtig und verweisen auf ihren eigenen Homepages nicht einmal auf die Mitgliedschaft im ÖTB.
Gleichzeitig hatte und hat die Organisation engste Verbindungen zum burschenschaftlichen Lager und zur FPÖ. Der aktuelle Bundesobmann Peter Ritter etwa ist gleichzeitig Gemeinderat der FPÖ im oberösterreichischen Bezirk Grieskirchen.
Burschenschaften mitten drin
Und auch der Weg zum burschenschaftlichen Lager ist sehr kurz. Die „Akademischen Turnvereine“ (ATV) der Universitätsstädte Wien, Graz, Linz, Innsbruck und Leoben sind einschlägige deutschnationale Sudentenverbindungen. Gleichzeitig sind die ATVs neben ihren verbindungsstudentischen Verpflichtungen auch Mitglied im ÖTB.
Doch zumindest nach außen musste der ÖTB immer wieder dem öffentlichen Druck nachgeben. So wurde etwa 1995/96 vom ÖTB eines der einschlägigen Symbole auf der „Bundesturnschule“ in Ried im Innkreis entfernt, wie aus einer parlamentarischen Anfrage im Jahr 1996 hervorgeht. Interessanterweise schreibt sogar das Innenministerium in seiner Beantwortung der Anfrage wörtlich von „Hakenkreuzsymbolen“.
Antifaschistischer Druck
Nach langem öffentlichem Druck wurde auch auf dem Jahn-Denkmal vor der Halle des Welser ÖTB eine Zusatztafel angebracht. Dort heißt es, dass Jahn zwar als „wesentlicher Begründer des Geräteturnens“ geschätzt werde, sein „deutsch-nationales, rassistisches und antisemitisches Gedankengut“ aber abgelehnt werde.“ Weiter heißt es auf der Tafel: „Auf dieses Gedankengut hat sich auch der Nationalsozialismus bezogen. Wir verurteilen den Nationalsozialismus (…)“.
Inhaltlich ist der Text zwar fragwürdig. Denn für Jahn war das Turnen nicht von seinen politischen Zielen zu trennen. Das weiß auch der ÖTB: „Das Jahnsche Turnen will die Erhaltung des deutschen Volkstums und des Bewusstseins der Volksgemeinschaft durch körperliche und sittliche Erziehung fördern“, heißt es wörtlich in der „Bundesturnordnung“ des ÖTB.
Doch immerhin gibt es in Wels eine erklärende Zusatztafel zum Jahn-Denkmal. Es wird ausgesprochen, dass Jahn „deutsch-nationales, rassistisches und antisemitisches Gedankengut“ gehabt hätte.
Am Wiener Leopoldsberg hingegen ist davon nichts zu sehen. Laut Stift Klosterneuburg hat die „Gedenktafel des Hern (sic!) Friedrich Jahn (…) nichts mit Antisemitismus zu tun.“ Und das Hakenkreuz ist nur „eines der ältesten Symbole der Welt“.
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