Urteile im Unsterblich-Prozess nach dem Angriff auf das EKH. Fünf rechte Angreifer wurden freigesprochen, dafür zwei Antifaschisten verurteilt. Wir haben mit einem verurteilten Gewerkschafter gesprochen.
[Erstveröffentlichung: Vice] Am 27. Oktober 2013, dem Tag des 307. großen Wiener Derbys zwischen Austria und Rapid, überfiel eine Gruppe von rund 30 Hooligans das Kulturzentrum EKH. Die Rechtsextremen konnten großteils der Nazi-Truppe „Unsterblich“ (Ust) zugeordnet werden, einem mittlerweile vom FK Austria Wien ausgeschlossenen ehemaligen Fanclub der „Violetten“. Verstärkung bekamen die Ust-Leute durch befreundete rechte Rapid-Fans, mutmaßlich durch den club-übergreifenden rechtsextremen Fan-Zusammenhang „Eisern Wien“.Im EKH hat auch der linke türkisch-kurdische Kulturverein ATIGF seinen Sitz, der an diesem Tag einen Sonntagsbrunch organisiert hatte, an dem zahlreiche Familien mit Kindern teilnahmen. Parallel dazu fand in einem der Säle eine Konferenz der Gewerkschaftsfraktion KOMintern (Kommunistische Gewerkschaftsinitiative International) statt. Beim Versuch, in die Räume der ATIGF einzudringen, wurde als erstes der Gewerkschafter Rudi F. niedergeschlagen. Der Haupt-Täter dabei war laut Gerichtsurteil Claudio P. W. ein bekannter Unsterblich-Mann.
Bevor F. zu Boden ging, konnte er allerdings noch einen Hilferuf absetzen. Die GewerkschafterInnen und ATIGF-Leute konnten die Angreifer daraufhin aus dem Stiegenhaus drängen. Als diese flüchteten, riefen sie die Polizei, nahmen dann die Verfolgung auf und hielten die Angreifer schließlich bis zum Eintreffen der Polizei fest. Angeblich sollen die Gewerkschafter dabei die Angreifer auch mit Besenstilen verfolgt haben. Insgesamt neun Rechtsextreme wurden den Behörden übergeben.
Gegen sieben der Angreifer wurde schließlich Anklage erhoben, parallel fanden sich auch zwei der angegriffenen Gewerkschafter auf der Anklagebank wieder. Das Verfahren wurde gemeinsam geführt, sodass die Betroffenen des Überfalls auf der gleichen Anklagebank Platz nehmen mussten wie die Rechtsextremen. Am ersten Prozesstag wurde die Anklage gegen die beiden Gewerkschafter sogar auf „Schwere Körperverletzung“ ausgeweitet, während sechs der sieben Rechtsextremen ausschließlich wegen Hausfriedensbruch angeklagt wurden.
Verantwortlich dafür war der schon beim Fall Josef S. auffällige Staatsanwalt Kronawetter. Selma Schacht von KOMintern wirft Kronawetter eine klassische Täter-Opfer-Umkehr vor und meint, dass er die politische Komponente des Falls völlig außer Acht lassen würde. Inzwischen wurde Kronawetter von politische Fällen völlig entbunden. Die meisten der rechten Angreifer hatten bereits Vorstrafen, zwei von ihnen wegen NS-Wiederbetätigung. Einer der Angeklagten, Mihaly K., wird vom antifaschistischen Austria-Fan-Portal „Ostkurve statt Ustkurve“ als eine der zentralen Figuren im Unsterblich-Milieu bezeichnet und auch mit der neonazistischen Facebook-Seite „Ultrassur Wien“ in Verbindung gebracht.
Die Unsterblich-Truppe ist seit mehreren Jahren aktiv. Die Rechtsextremen sorgen im Stadion immer wieder für Unruhe und sind auch darüber hinaus aktiv. So lassen sich einerseits Querverbindungen zu Pegida feststellen, andererseits gibt es auch Verknüpfungen zur FPÖ.
Am 20. April wurde nun das Urteil verkündet. Die beiden angeklagten Gewerkschafter, die sich dem rechten Angriff entgegenstellten, wurden beide wegen schwerer Körperverletzung zu 12 Monaten bedingt verurteilt. Von den sieben angeklagten Rechtsextremen wurden fünf freigesprochen. Stefan Herbert S. wurde wegen Hausfriedensbruch zu 12 Monaten bedingt verurteilt, Claudio P. W. wegen Hausfriedensbruch und Körperverletzung zu 14 Monaten bedingt. Wir sprachen mit dem im Prozess verurteilten Gewerkschafter Altun A. über das Urteil.
VICE: Das Urteil liegt vor, Sie wurden wegen schwerer Körperverletzung verurteilt. Was sagen Sie dazu?
Altun A.: Offen gesagt fühle ich mich verarscht. Ich habe Zivilcourage gezeigt und mich gegen einen rechten Angriff zur Wehr gesetzt. Dass ich dafür verurteilt werde, ist ein Skandal. An diesem Tag waren Familien und rund zehn Kinder in unserem Vereinslokal. Was hätte ich sonst tun sollen? Einfach zusehen, wie sie niedergeschlagen werden?
Wie haben Sie den Prozess erlebt?
Was mir gleich zu Beginn aufgefallen ist: die Rechtsextremen haben alle ihr Gesicht versteckt beim Betreten des Saals. Offenbar hatten sie etwas zu verbergen. Wir hingegen zeigen, wer wir sind und stehen zu unserer Überzeugung.
Den gesamten Prozess fand ich sehr parteiisch. Die Staatsanwaltschaft war kaum interessiert an den Rechtsextremen und hat sich vor allem auf mich und meinen Kollegen konzentriert. Das war doch sehr absurd, nachdem wir ja eigentlich die Opfer des Angriffs waren. Die Staatsanwaltschaft verhandelte die gesamte Sache wie eine Wirtshaus-Rauferei und hat die politische Dimension völlig ausgeblendet. Eine Rauferei ist nicht geplant, doch das war ganz offensichtlich ein geplanter Überfall auf ein linkes Kulturzentrum.
Die Rechtsextremen wussten ganz genau, dass im EKH wir KommunistInnen und unsere anarchistischen GenossInnen unsere Räume haben. Das war ein gezielter rechter Angriff auf antifaschistische Strukturen. Die Rechten wollen AntifaschistInnen attackieren, Menschen mit anderer Herkunft oder anderer sexueller Orientierung.
Können Sie schildern, was aus Ihrer Sicht am Tag des Überfalls passierte?
Ich war gerade im Vorraum, als ich hörte, wie Rudi F. um Hilfe rief. Das war eine extreme Situation. Ich musste entscheiden, ob ich Rudi zu Hilfe eilen oder die anderen KollegInnen informieren sollte. Ich entschied mich dann, Rudi zu helfen, weil ich dachte, dass auch andere seinen Hilferuf gehört haben müssten, was dann auch so war. Es gelang uns, die Nazis aus dem Stiegenhaus zu drängen. Die Nazis sammelten sich dann nochmals vor der Tür und versuchten ein zweites Mal, in unsere Räume einzudringen. Wir konnten dann mit fünf, sechs Leuten die Tür zuhalten.
Schließlich gingen wir vor die Tür, die Nazis flüchteten. Wir riefen die Polizei und nahmen dann die Verfolgung auf. Wir stellten die Angreifer und hielten sie fest, bis die Polizei kam. Ich selber habe sogar noch die Rettung angerufen, weil einer der Angreifer, Claudio P.W., verletzt war. Und nun müssen wir laut Gerichtsurteil an diesen Mann 1540 Euro bezahlen, der selbst dafür verurteilt wurde, weil er uns angegriffen hat. Das ist eigentlich unfassbar.
Was denken Sie über das Urteil?
Vor allem schmerzt mich, dass ich nun Geld an einen Rechtsextremen bezahlen muss. Es geht mir dabei nicht ums Geld, sondern darum, dass ich nicht möchte, dass solche Leute Geld von mir bekommen. Dass der Staat ungerecht ist und ein solches Urteil ausgesprochen hat, überrascht mich allerdings nicht, das habe ich nicht anders erwartet. Der bürgerliche Staat ist überall ungerecht gegenüber der politischen Linken.
Zu Beginn hat der Richter gesagt, dass wir keine politische Verhandlung sehen werden. Doch das Urteil zeigt, dass dies sehr wohl ein politischer Prozess war. Wir haben nun drei Tage Zeit, darüber zu entscheiden, ob wir in Berufung gehen. Diese Zeit werden wir uns nehmen und überlegen, ob wir auf ein gerechteres Urteil in der nächsten Instanz hoffen können.
Am Schluss kommt noch Rudi F. zu unserem Interview, das Haupt-Opfer des rechten Angriffs. Rudi F. erzählt, dass er immer noch mit den psychischen und physischen Folgewirkungen des Angriffs zu kämpfen hat und bis heute regelmäßig in ärztlicher Behandlung und Betreuung ist.
Ich frage ihn, was er über das heutige Urteil denkt. „Zynisch gesagt: Stefan S. bekommt 12 Monate für Hausfriedensbruch, Claudio P. W. 14 Monate für Hausfriedensbruch und die Verletzungen, die er mir zugefügt hat“, antwortet er. „Offenbar ist also die Tür 12 Monate wert, ich nur 2 Monate. Das zeigt schon ganz gut die Wertigkeit des Gerichts.“