Am Yppenplatz in Wien-Ottakring wurde eine Frau erschlagen. Die Diskussion danach lud sich schnell rassistisch auf, insbesondere wurde erwähnt, dass der Täter eigentlich abgeschoben werden müsste. Überlegungen zu einer schwierigen Diskussion.
Selbstverständlich haben viele Leute, die rund um den Yppenplatz wohnen, in diesen Tagen ein unangenehmes Gefühl – ich hätte es wahrscheinlich auch. Das ist menschlich und verständlich. Ebenso nachvollziehbar finde ich die Diskussion über eine gewisse Beklemmung bei den Ausgängen der nahegelegenen U6 Stationen Josefstädter Straße oder Thaliastraße, wo in erheblichem Ausmaß und sehr offen gedealt wird. Ein Problem dabei ist dort sicherlich, das die Zugänge teils so eng sind, dass manchmal das Gefühl besteht, fast durch ein Spalier gehen zu müssen.
Um es mit einem ganz anderen Beispiel zu ergänzen: Vor vielen Jahren war die U4 Station Pilgramgasse ein täglicher Punk-Treffpunkt. Ich glaube auch, dass es für viele nicht angenehm war, dort durchzugehen. Mich persönlich störte das keineswegs, doch kann ich mir denken, dass Menschen, die mit der Subkultur weniger anfangen konnten, durchaus manchmal verängstigt waren.
Wie die Medien Angst-Räume machen
Andererseits finde ich subjektiv den Praterstern überhaupt nicht beklemmend, weil dort beim Umsteigen zwischen den Linien sehr viel Platz ist. Das ändert aber natürlich nichts an der realen Thematik der Sexual-Verbrechen, die dort stattgefunden haben. Gleichzeitig, und hier setzt mein Problem ein, werden aktuell meines Erachtens medial Angst-Räume definiert.
Die Polizei hatte bereits Zahlen heraus gegeben, dass sich 2016 die Anzahl von Übergriffen und (Sexual-)Verbrechen nicht merkbar erhöht hat. Was gestiegen ist, ist die Berichterstattung. Das finde ich nun prinzipiell auch recht gut, weil es ein Problembewusstsein schafft. Allerdings, und das finde ich das schwierige dabei, wird dieses Problembewusstsein meines Erachtens vor allem rassistisch aufgeladen.
Ebenso aufgeladen wird für mich aktuell die Linie U6. Das Boulevardblatt Österreich fuhr zeitweise eine regelrechte Kampagne, der „Falter“ ergänzte mit einem reißerischen Cover, jüngst hat ein Beitrag des Journalisten Thomas Rottenberg die Debatte neu entfacht. Beim Lesen erweckt der Beitrag in mir den Eindruck, dass hier jemand, der sonst eher selten mit der U6 oder gar überhaupt mit der U-Bahn fährt, seine gruseligen Momente beschreibt, wenn er mit der realen Großstadt konfrontiert wird.
Wer will denn Sozialarbeit?
Jede Fahrt mit der U6 ist für Rottenberg ein Argument, nicht Van der Bellen zu wählen (also FPÖ und Hofer zu wählen?). Schließlich spricht er davon, dass nur die FPÖ Symptome nicht ignorieren würde. Ich halte dieses Argument, dass die Linke (wer immer das so pauschal sein mag) angeblich Symptome ignorieren würde, schlicht für keineswegs haltbar und schlüssig.
Wer tritt denn für Sozialarbeit, Streetwork, Jugendzentren, Deutsch-Kurse und Integrations-Angebote für MigrantInnen ein? Und wer will sie permanent kürzen und einsparen? Von Rechts gibt es ja oft abwertende Sprüche gegen die „linken Sozialarbeiter“. Wurden sie SozialarbeiterInnen, weil sie Symptome ignorieren oder weil sie Symptome sehen und überlegen, was am besten dagegen zu tun ist?
Sehen wir uns die Frage möglicher Lösungen nochmals konkret für den Drogen-Handel an der U6 an. Eine polizeiliche Vertreibung ist aus professioneller Sicht schlicht und ergreifend vollkommen sinnlos, weil sich die Szene dann einfach zwei Stationen weiter neu konstituiert. Die Geschichte der Vertreibung der letzten 20 Jahre in Wien spricht eine hier eine mehr als eindeutige Sprache.
Der Bedarf nach Drogen kann nicht einfach „zerschlagen“ werden
Zuerst waren Karlsplatz und Gumpendorferstraße die zentralen offenen Verkaufsplätze in Wien. Als diese Szenen zerschlagen worden sind, hat sich der Verkauf dezentralisiert. Über die Gumpendorferstraße ging es vor allem entlang der Straßenbahnlinien 6 und 18 bis zum Matzleinsdorfer Platz. Aktuell weitet sich der Verkauf entlang der U6 bis zur Station Handelskai aus.
Natürlich können auch diese Szenen polizeilich zerschlagen werden. Dann wird es eben die U4. Oder die U2. Oder die U1. Es ist sehr simpel: Solange es die Nachfrage nach illegalisierten Drogen gibt, aber keine legalen Abgabe-Möglichkeiten, wird es halb-offene Märkte geben, wo sich KundInnen und VerkäuferInnen treffen können. Wir haben es hier mit Sucht-Problematiken zu tun. Viele Menschen entscheiden also nicht, ob sie die Substanz brauchen, sondern sind schlicht davon abhängig.
Angebote für AsylwerberInnen schaffen und Drogen entkriminalisieren
Aber natürlich gibt es (auch) legistische Möglichkeiten, die Fragestellung in den Griff zu bekommen. Einerseits sind tatsächlich ein relevanter Teil der Jugendlichen, die aktuell an der U6 dealen, Asyl-WerberInnen. Mein erster Vorschlag wären Streetwork, Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis und genug Mittel zum Überleben für die betreffenden Personen. Mein zweiter Vorschlag wäre in einem ersten Schritt die Legalisierung von Cannabis-Produkten, womit ein großer Teil des Marktes wegfällt.
Der konkrete Fall am Yppenplatz ist tragisch und wir werden wohl auch nie erfahren, was vor dem Mord geschah (die Frau, die starb, hatte offenbar rechtsextreme Einstellungen und wird derzeit in rechten Kreisen zur Märtyrerin stilisiert, der Mann war schwarz). Gleichzeitig scheint nach allem, was wir bisher wissen, dass der Mann offensichtlich psychotisch und damit krank war. Es gab hier also offensichtlich nicht genügend oder keine greifenden Hilfs-Angebote.
Kranke Menschen brauchen Hilfe
Wir werden uns aber, so schmerzhaft es im Einzelfall sein mag, auch damit auseinandersetzen müssen, dass bestimmte Taten niemals verhinderbar sein werden. Wenn jemand „nicht unmittelbar selbst- oder fremdgefährdend“ ist, gibt es keinen Grund für einen Zwangsaufenthalt in der Psychiatrie. Das halte ich ganz grundlegend für einen unfassbaren Fortschritt der Psychiatrie-Reform der 1970er Jahre.
Das bedeutet aber auch, dass Menschen mit Psychosen auf der Straße sind und sein dürfen. Das wäre prinzipiell auch kein Problem, wenn sie medikamentös gut eingestellt und therapeutisch gut betreut sind. Besonders schwierig ist das allerdings bei Menschen, die einen unsicheren Aufenthaltsstatus haben und damit oft durch die Netze rutschen.
Hier sehe ich eine enorme Bringschuld der einschlägigen „Fremden“-Gesetze, des Gesundheitssystems und der Sozialarbeit, einerseits gegenüber den kranken Menschen, andererseits gegenüber ihrer Umgebung.
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