Die Berufung von Josef S.

Bild: David Prokop

Nach monatelanger U-Haft und seiner anschließenden Verurteilung rund um die Demo gegen den Wiener Akademikerball wird der deutsche Antifaschist Josef S. nun gegen das Urteil Berufung einlegen.

[Erstveröffentlichung: Vice] Viele von euch kennen die Vorgeschichte bereits: Der deutsche Student Josef S. demonstriert in Wien gegen den Akademikerball der rechtsextremen Burschenschaften und der FPÖ, wird gegen Ende der Demo verhaftet und verbringt rund sechs Monate in Untersuchungshaft, weil man ihm vorwirft, er wäre mehr oder weniger für alles verantwortlich gewesen, was an diesem Tag auf der Demo passiert ist.

Jetzt wehrt sich Josef S. gegen das Urteil. Der Student aus Jena und seine beiden AnwältInnen Clemens Lahner und Kristin Pietrzyk wandten sich am 9. Oktober mit einer Nichtigkeitsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof, um die vollständige Aufhebung des Urteils zu erreichen. Zusätzlich legen sie Berufung gegen die Strafhöhe ein. Das Urteil begründete sich ausschließlich auf den Aussagen eines Zivilpolizisten, der vor Gericht anonym auftrat. Kein anderer Zeuge hat strafbare Handlungen durch Josef S. wahrgenommen. Es gibt kein Foto oder Video, das ihn bei der Begehung strafbarer Handlungen zeigen würde. Josef S. selbst hat immer wieder seine Unschuld betont—auch uns gegenüber in diesem exklusiven Interview.

Vor Gericht zeigte sich tatsächlich eine äußerst schwache Anklage. BelastungszeugInnen verwickelten sich in Widersprüche, entlastende ZeugInnen wurden nicht berücksichtigt. So hatte etwa ein Fotograf ausgesagt, dass er gehört hätte, wie die Scheiben einer Polizeiwache eingeschlagen wurden, als Josef S. laut Videoüberwachung noch ganz woanders war. Laut Gerichtsurteil hat Josef S. diese Sachbeschädigung allerdings initiiert. Im Urteil hieß es dann absurderweise, dieser Zeuge könne „nichts zur Aufklärung der Tathandlungen des Angeklagten beitragen, weil er zu diesem keine konkreten Wahrnehmungen hatte“.

Die Anwältin von Josef S., Kristin Pietrzyk, sagt, dass im Urteil die Beweise „ergebnisorientiert“ bewertet wurden: „Entlastende Aussagen oder Aussagen, die den einzigen Belastungszeugen in Zweifel ziehen, werden entkontextualisiert oder weggelassen, so dass eine kritische Auseinandersetzung mit der Aussage des Zivilbeamten unterbleiben kann. Insofern halte ich das Urteil unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten für überprüfungswürdig.“

Trotz all dieser Zweifel und Widersprüche wurde Josef S. am 22. Juli 2014 wegen Landfriedensbruchs, versuchter schwerer Körperverletzung und Sachbeschädigung verurteilt. Damit konnte Josef S. nach dem Urteil das Gefängnis verlassen, weil er (sogar mehr als) die Strafe schon in der U-Haft abgesessen hatte. Diese Form der Bestrafung durch die U-Haft ist nicht unüblich. Der Fall hatte große Wellen geschlagen, eine neuerliche Inhaftierung hätte zweifellos starke Proteste ausgelöst.

Dabei sollte nicht vergessen werden, dass Josef S. auch im Fall eines Freispruchs monatelang in Haft gesessen wäre. Die Strafe für unangepasstes Verhalten war also in jedem Fall verhängt, egal, ob sie dann vor Gericht gehalten hätte oder nicht. Das Muster erinnert an den großen TierschützerInnen-Prozess: Hier gingen dem Freispruch trotzdem 100 Tage Haft voraus.

Der Hauptanklagepunkt des Landfriedensbruchs—ein lange Zeit praktisch toter Paragraph—im Fall Josef S. wird darüber hinaus von Staatsanwalt Kronawetter, der auch die Anklage leitete, immer wieder gegen AntifaschistInnen eingesetzt. In der Anklageschrift und beim Verfahren gegen Josef S. bediente er sich einer Rhetorik, die—vorsichtig formuliert—nicht unbedingt ausgewogen wirkte. So verglich er einige kaputte Fensterscheiben mit den Zerstörungen Wiens nach einem Krieg. Im Gegensatz dazu betrachtete er rechtsextreme Morddrohungen gegen mehrere AntifaschistInnen nicht als weiter verfolgenswert.

Im Wesentlichen geht es bei diesem Paragraphen darum, dass es bereits zu einer Verurteilung reicht, wenn jemand in der Nähe einer strafbaren Handlung durch eine Menschenmenge ist, falls er oder sie in irgendeiner Form zu dieser Menschenmenge gehört. So wurde etwa bei einem großen Landfriedensbruch-Verfahren gegen Fans des SK Rapid im September dieses Jahres ein Entlastungszeuge gleich mit auf die Anklagebank gesetzt. Die Begründung: wenn er Aussagen machen könne, sei er ja dabei gewesen. Auch bei Josef S. reichten Video-Aufnahmen, die ihn etwa in der Nähe einiger geworfener Mistkübel zeigten, um damit seine Tatbeteiligung zu begründen.

Für die Familie und das Umfeld von Josef S. ist die neuerliche Berufung ein Kraftakt. Irma S., die Schwester von Josef, die die Solidaritäts-Arbeit koordiniert, erzählt: „Wir haben eine Überschlagsrechnung gemacht, was die Kosten für das erste Verfahren und die Berufung betrifft. Insgesamt sind es ca. 50.000 Euro. Bisher haben wir gerade mal zwei Drittel der Anwaltskosten des ersten Prozesses mithilfe der Spendengelder decken können. Die Prozesskosten sind da noch gar nicht mitgerechnet.“ Irma bittet auch um Spenden, um das weitere Verfahren finanzieren zu können.

Doch trotz dieser Schwierigkeiten steht die Familie von Josef S. fest hinter ihm. „Nach dem Schuldspruch haben uns zahlreiche Zuschriften aus Österreich und Deutschland erreicht, die uns ermutigen, gegen dieses Unrecht vorzugehen“, sagt sein Vater. „Wir stehen voll und ganz hinter der Entscheidung unseres Sohnes.“

Irma erzählt auch, wie nun die ganze Familie ins Visier der Verfassungsschützer geriet. So geht etwa aus einer „Kleinen Anfrage“ der Linke-Abgeordnete Katharina König im Landtag von Thüringen hervor, dass nicht nur die Soli-Homepage überwacht wurde, sondern auch Daten nach Wien übermittelt wurden. Irma ist empört: „Bei der Aufarbeitung der NSU-Morde ist der Verfassungsschutz in Thüringen nicht besonders gut weggekommen. Einerseits werden wir überwacht, andererseits können die Nazis offenbar tun und lassen, was sie wollen.

Trotz allem wollen sich Josef und seine Schwester nicht unterkriegen lassen. „Wir können den Staat mit diesem Urteil nicht durchkommen lassen“, sagt Irma S. zum Abschluss. „Denn die Freiheit ist ein hohes Gut und es ist notwendig, dafür zu kämpfen.“

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