Die Grauen Wölfe sind die größte faschistische Organisation in Österreich. Tausende sind in ihren Vereinen organisiert. Wie gefährlich sind die Wölfe und wie eng arbeiten sie mit Erdoğan zusammen? Teil 1 der neuen Serie.
Selbst nennen sie sich die „Idealisten“, auf Türkisch Ülkücüler. Und sie sind eine der größten und brutalsten faschistischen Bewegungen nach 1945. Doch wer sind die Grauen Wölfe? Was sind ihre Ziele? Und welchen Einfluss und welche Strukturen haben sie in Österreich?
Die Geschichte der Organisation beginnt im Jahr 1964. Damals gründet der ehemalige Oberst Alparslan Türkeş mit seinen Gefolgsleuten die Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP). In den folgenden Jahren sollte Türkeş als neuer Führer (Başbuğ) aus der MHP eine faschistische Massenpartei mit gefährlichen Todesschwadronen formen. In Europa ist die Partei besser bekannt unter dem Namen dieser paramilitärischen Verbände: Bozkurt, die Grauen Wölfe.
Brauner Wolf
Bereits in einem Bericht des Hauptquartiers der NS-Staatssicherheitspolizei in Berlin an das Auswärtige Amt aus dem Jahr 1944 findet sich der Name des späteren MHP-Führers Alparslan Türkeş. Er wird dabei als einer der zentralen Verbindungsmänner des NS-Regimes in der Türkei gelobt: „Bei richtigem Einsatz dieser Personen [bestehen] unerschöpfliche Möglichkeiten.“
Die türkische Regierung pflegt lange eine wohlwollende Neutralität mit den Nazis. An der Macht ist die diktatorisch regierende nationalistische Einheitspartei CHP (Republikanische Volkspartei) unter Mustafa Kemal Pascha, später Kemal Atatürk („Vater der Türken“). Erst als sich abzeichnet, dass die faschistische Achse Berlin-Rom-Tokio den Weltkrieg verlieren würde, geht die „kemalistische“ CHP auf Distanz zum NS-Regime (Atatürk starb 1938). Die CHP ist heute als Mitglied der Sozialistischen Internationale eine Schwesterpartei der SPÖ.
Todeschwadronen werden aufgebaut
Türkeş und einige andere Nazi-Unterstützer werden also pro forma verhaftet und verurteilt, in der Berufungsverhandlung im April 1945 aber bereits wieder freigesprochen. Im beginnenden Kalten Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion ist Türkeş als strammer Antikommunist hochwillkommen und kann weiter politisch agitieren. Bereits 1960 ist er führend an einem rechten Militärputsch beteiligt.
Ab 1968 baut die MHP gegen die stärker werdende Linke große paramilitärische Verbände nach dem Muster von SS-Einheiten auf: Die Grauen Wölfe. Über 100.000 Menschen sollen in den Lagern der Wölfe ausgebildet worden sein. Bald organisieren die Wölfe Anschläge, Übergriffe und Morde auf Linke. Diese antikommunistische „Strategie der Spannung“ mit sogenannten „Gladio“-Netzwerken wird auch in anderen Ländern umgesetzt, etwa in Italien oder Chile. Im Hintergrund agieren jeweilige nationale rechte Kräfte, NATO und USA.
Mafia und Heroin
Nach dem Militärputsch im September 1980 sind die rechten Paramilitärs unnötiger Ballast und werden für eine gewisse Zeit zurückgedrängt. Ein Teil der Wölfe tritt in rechts-konservative Parteien ein, andere wenden sich religiösen Gruppen zu. Viele bleiben der Partei aber auch weiter treu.
Ein Teil der Wölfe wird dabei zu Mafia und Organisierter Kriminalität. Mutmaßlich finanzier(t)en sich die Strukturen der Organisation teilweise durch den internationalen Drogenhandel, vor allem mit Heroin. Filmisch verarbeitet wird das etwa im Thriller „Das Imperium der Wölfe“ aus dem Jahr 2005. Jean Reno brilliert in der Hauptrolle, die Verstrickungen der Wölfe werden anschaulich dargestellt.
Gemeinsame Interessen
Mit den enormen Summen, die aus dem Drogenhandel gewonnen werden, können wiederum die Aktivitäten der Wölfe vor allem gegen KurdInnen und Linke finanziert werden. Dabei gibt es auch mehr als genug gemeinsame Interessen und Überschneidungen mit dem türkischen Staatsapparat.
Das Ausmaß dieser Zusammenarbeit von Staat, Mafia und Grauen Wölfen wird 1996 einer breiten Öffentlichkeit bekannt, als in der westtürkischen Kreisstadt Susurluk, 300 Kilometer südlich von Istanbul, ein PKW in einen Lastwagen rast.
Der peinliche Autounfall von Susurluk
Der darauf folgende „Susurluk-Skandal“ sollte in der Türkei ein politisches Erdbeben auslösen. Denn in diesem schwarzen Mercedes 600 sterben der von Interpol gesuchte Drogenhändler und Wölfe-Führungskader Abdullah Çatli, dessen Geliebte Gonca Us sowie der stellvertretende Istanbuler Polizeipräsident Hüseyin Kocadağ. Der ist gleichzeitig ein Kommandeur von Spezial-Einheiten gegen den kurdischen Widerstand.
Der tote Drogenhändler Çatli war gleichzeitig eine Schlüsselfigur der Wölfe gewesen. Er galt in den 1970ern als Nummer zwei der Wölfe und hatte unter anderem 1979 dem MHP-Auftragskiller und späteren Papst-Attentäter Mehmet Ali Ağca zur Flucht aus einem Gefängnis verholfen.
Schwer verletzt überlebt Sedat Bucak, Abgeordneter der damaligen Regierungspartei DYP, dessen Miliz ebenfalls gegen die links-kurdische PKK kämpft. Teile der DYP sind heute in der AKP aufgegangen.
Gleichzeitig islamisieren sich die Wölfe in dieser Zeit auch verstärkt. In der Frühphase der Wölfe bzw. ihrer ideologischen Vorläufer spielten neuheidnische Rückgriffe auf vorislamische Religionen der frühen türkischen Stämme (Gök-Türken) noch eine gewisse Rolle. Doch nun wird der Islam religiös bestimmend. In Österreich etwa sind die Wölfe vor allem über ihre zahlreichen Moscheen organisiert.
Wie stark sind die Grauen Wölfe in der Türkei?
Nach dem Ende der offenen Militärdiktatur können sich die Wölfe schnell neu organisieren und sind bis heute ein bestimmender Faktor in der türkischen Innenpolitik. Seit mehreren Jahren ist die MHP in einer strategischen Allianz mit der AKP (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) von Präsident Recep Tayyip Erdoğan verbunden. Bei den Parlamentswahlen 2018 hatte die MHP 11,1 Prozent der Stimmen erhalten, ihre Abspaltung İYİ (Gute Partei) nochmals 10 Prozent. In den Jahren davor lag die MHP bei Wahlen zwischen 8 und 18 Prozent.
Die MHP trat 2018 in einem Wahlbündnis mit der AKP an, die Wölfe-Abspaltung İYİ in einem Bündnis mit der nationalistisch-sozialdemokratischen CHP. İYİ und die CHP bilden heute einen Oppositionsblock. Auch die CHP hatte übrigens immer wieder eng mit der MHP zusammengearbeitet: 2014 stellten die beiden Parteien sogar einen gemeinsamen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl auf. Der aktuelle CHP-Bürgermeister der türkischen Hauptstadt Ankara, Mansur Yavaş, war ein jahrzehntelager hochrangiger Wölfe-Funktionär. Noch 2009 war er bei der Wahl zum Bürgermeister für die FaschistInnen angetreten.
Ihre Hochburgen hat die MHP traditionell am Schwarzen Meer, in Zentralanatolien sowie am Mittelmeer an der Grenze zu Syrien. Speziell in Zentralanatolien umfasst ihre KernwählerInnenschaft auch klassische religiös-konservative Schichten.
Wie eng arbeiten die AKP und die Wölfe zusammen?
Zwischen der AKP und der MHP gibt es heute in der Türkei eine weitgehende strategische Allianz. Ideologisch treffen sie sich vor allem im türkischen Nationalismus. Die Religion hatte dagegen für die MHP früher eine geringere Bedeutung. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Nun setzt auch die MHP zunehmend auf den Islam und lädt ihn gleichzeitig nationalistisch auf. In Österreich betreiben die Wölfe eigene Moscheen.
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Auch in Österreich marschieren AKP und MHP oftmals gemeinsam. Nach dem versuchten Militärputsch gegen Erdoğan im Juli 2016 etwa wurde bei einem solchen Aufmarsch auch ein Lokal der kurdischen Türkis-Restaurantkette angegriffen.
Wie gefährlich sind die Wölfe?
Die Grauen Wölfe haben in der Türkei bereits tausende Menschen ermordet. Ihre Todesschwadronen beginnen nach 1968 ihr Werk. In einer ersten Welle zwischen 1968 und 1971 ermorden die Wölfe mehrere Dutzend KommunistInnen, GewerkschafterInnen und andere fortschrittliche AktivistInnen.
Nationalisten haben eine 1. Mai-Kundgebung in Wien angegriffen
Trotz dieser mörderischen Repressionswelle lässt sich die Linke in der Türkei nicht einschüchtern und gewinnt weiter an Einfluss. Die konservativen Parteien reagieren mit noch mehr Terror: 1975 machen sie MHP-Führer Türkeş zum stellvertretenden Ministerpräsidenten. Damit ist ihm unter anderem der Geheimdienst MIT unterstellt. Die Wölfe können nun ungestraft zu Werke gehen. Zwischen 1975 und 1979 ermorden die „Idealisten“ dann über 3000 Menschen, teilweise in offensichtlicher Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst.
Tausende werden ermordet
Unter dem Vorwand der unsicheren Lage im Land wird schließlich das Kriegsrecht verhängt. Die „Strategie der Spannung“ wird zum Abschluss gebracht. Die Polizei beginnt nun mit Massenverhaftungen, Folterungen und dem Verbot linker und demokratischer Organisationen und Zeitungen. Im Oktober 1980 schließlich putscht das Militär, die MHP hat ihr Ziel erreicht. Rund 200.000 Oppositionelle, vor allem Linke, werden verhaftet, zehntausende werden gefoltert, viele sterben in den Folter-Gefängnissen der Militärjunta.
Im Schatten des Völkermords. Das moderne Armenien in Bildern
Auch in jüngerer Zeit ist das Milieu der Wölfe für Tote verantwortlich. So wird der Mord an Hrant Dink, einem türkischen Journalisten aus der armenischen Minderheit, dem Spektrum der Partei der großen Einheit (BBP) zugeordnet,einer Abspaltung der MHP. Die Wölfe attackieren und morden auch in Deutschland.
So wurde Seyfettin Kalan 1995 in Neumünster ermordet, Ercan Alkaya 1997 in Kiel und Erol Ispir 1999 in Köln. Bereits 1980 war Celalettin Kesim, ein Mitglied der Türkischen Kommunistischen Partei, in Berlin-Kreuzberg von Wölfen und Anhängern der rechts-fundamentalistischen Milli Görüş (Nationale Sicht) attackiert und ermordet worden.
Angriffe in Österreich
Auch in Österreich kam es immer wieder zu Angriffen durch die Wölfe. In der oberösterreichischen Hauptstadt Linz hatte ein Grauer Wolf bereits 1992 während einer Demonstration gegen die FaschistInnen Schüsse abgegeben. Dennoch haben die Wölfe in Linz ein jahrzehntelanges enges Verhältnis mit der SPÖ aufgebaut (das von Linken in der Partei vergeblich scharf kritisiert wurde).
In jüngerer Zeit erfolgten in Österreich immer häufiger Angriffe und Provokationen auf linke kurdische und türkische Vereine, Lokale und Kundgebungen. Die jüngste Eskalation etwa hatte mit dem Angriff auf eine Kundgebung am 1. Mai in Favoriten begonnen.
Die aktuellen Angriffe in Favoriten sind also nur die Spitze des Eisbergs.
Die gesamte Serie:
Teil 1: Die Grauen Wölfe. Woher kommen sie und warum sind sie so gefährlich?
Teil 2: Die Grauen Wölfe: Wie ihr sie erkennen könnt und warum der Wolf so wichtig ist
Teil 3: So sind die Grauen Wölfe in Österreich organisiert
Teil 4: Welche Verbindungen haben ÖVP-Favoriten und Graue Wölfe?
Teil 5: Faschistische Jugend: Die Grauen Welpen aus Favoriten
Teil 6: Warum sind die Proteste in Favoriten gerade jetzt eskaliert?
Teil 7: In diesen Städten haben die Grauen Wölfe in Österreich ihre Treffpunkte
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