Was haben die offizielle Biografie von Sebastian Kurz, die Machwerke von Thilo Sarrazin und die Ergüsse von Identitären-Kumpel Matthias Mattusek gemeinsam? Alle drei sind im gleichen Münchner Verlag erschienen.
Die seltsam schwülstige Pseudo-Erotik der neuen Biografie von ÖVP-Chef Sebastian Kurz wurde in Medien und sozialen Netzwerken bereits intensiv verarscht. Der Hashtag #50ShadesofKurz macht die Runde. Angeblich soll das Buch mit dem Titel „Sebastian Kurz: Die offizielle Biografie“ inzwischen sogar der ÖVP peinlich sein.
Um einige Formulierungen sei gar „gerungen“ worden, heißt es in einer Stellungnahme gegenüber dem Standard. Dennoch könne die ÖVP der Behauptung, dies sei die offizielle Biografie, nichts entgegensetzen. Doch bei all den Debatten um seltsame Textstellen geht ein sehr wesentlicher Aspekt verloren: Nämlich, welch einschlägig auffälligen Verlag sich Autorin Judith Grohmann für die Veröffentlichung der Biografie ausgesucht hat. Aufgefallen ist das unter anderem dem Künstler Thomas Thalhammer, der auf Facebook darüber geschrieben hat.
Im Boot mit Sarrazin
Denn erschienen ist die Kurz-Biografie im Münchener Finanzbuchverlag, kurz FBV. Und es ist äußerst bemerkenswert, was der FBV neben der Biografie des Ex-Bundeskanzlers noch publiziert. Sofort ins Auge sticht etwa der Titel „Feindliche Übernahme. Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht.“
Das Buch ist 2018 erschienen, es ist das jüngste Machwerk von Thilo Sarrazin, einem der bekanntesten Rechtsaußen-Autoren in Deutschland. Sarrazin ist gleichzeitig weiterhin Mitglied der SPD, die nach Erscheinen dieses Buches ein (neuerliches) Parteiausschluss-Verfahren gegen Sarrazin eingeleitet hat. Der Ausgang ist noch offen. Ursprünglich hätte „Feindliche Übernahme“ bei der Verlagsgruppe Random House erscheinen sollen. Die kündigte aber den Vertrag, worauf der FBV einsprang.
Plünderer und extreme Rechte
Neben seinem eigenen Büchlein ist Sarrazin auch Co-Autor weiterer Titel, die der FBV publiziert hat. Etwa: „Von Rettern und Rebellen“, wo eine angebliche „Plünderung Deutschlands“ beklagt wird, wie es im Werbetext des Verlages heißt.
Apropos Retter: Als weiterer Autor des FBV firmiert Bernd Lucke, ehemals Bundessprecher der rechtsextremen AfD. Lucke musste nach einer verlorenen Fraktionsauseinandersetzung die AfD verlassen. Nun ist er Sprecher ihrer besonders offen marktradikalen Abspaltung „Liberal-Konservative Reformer“. Im FBV darf er mit seinem 2019 erschienenen Buch „Systemausfall“ einen angeblich „packenden Blick auf die Schattenseiten der Europäischen Union“ werfen.
Identitären-Kumpel
Auch ein weiterer bekannter Name springt schnell ins Auge: Matthias Matussek veröffentlichte im FBV seinen Titel „White Rabbit oder Der Abschied vom gesunden Menschenverstand“. Der ehemalige Spiegel-Journalist Matussek ist in den letzten Jahren weit nach rechts gegangen. Inzwischen sympathisiert er offen mit der neofaschistischen Gruppe „Identitäre Bewegung“.
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Bei Matusseks Geburtstagsfeier im März 2019 eingeladen war unter anderem Mario Müller, führender deutscher Kader der Identitären aus Halle. Müller wurde unter anderem 2013 zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt, weil er einen Antifaschisten mit einem selbst gebastelten Totschläger schwer verletzt hatte. Matussek bezeichnet Müller als seinen „identitären Freund“.
Als die TeilnehmerInnenliste der Geburtstagsfeier öffentlich bekannt wurde – und sich zeigte, dass auch eine Reihe bekannter JournalistInnen mit Matussek und Müller gefeiert hatten – machte in den sozialen Netzwerken der Hashtag #MitRechtenFeiern die Runde. Inzwischen stimmt Matussek auch in die einschlägigen rechten „Lügenpresse“-Sprechchöre ein.
Das ist der Mann, mit dem bekannte deutsche JournalistInnen privat Party machen, in der "Lügenpresse"-Verzückung.#MitRechtenFeiern https://t.co/EAjrAzdQd2
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) March 13, 2019
Aus welchem Eck die Medien-Kritik kommt, zeigt der Werbetext für „White Rabbit“. Denn im FBV-Verlag darf Matussek darüber sinnieren, wie „die Medien“ angeblich Deutschland „in einen Hippie-Staat“ verwandelt hätten. Als rechter Autor wird Matussek sich dabei im FBV nicht alleine fühlen.
Tichys Einblick
Die Seite „Tichys Einblick“, publiziert von Roland Tichy, gilt als eines der wichtigsten Sprachrohre der weit rechten Szene in Deutschland. Seit 2017 betreut der Blog auch eine eigene Buch-Reihe unter dem Titel „Edition Tichys Einblick“. Sie erscheint, richtig geraten, im Verlag FBV. Zu finden sind in dieser Edition etwa Titel wie „Die Diesel Lüge. Die Hetzjagd auf ihr Auto – und wie sie sich wehren.“
Im Vorwort darf dann Roland Tichy beklagen, dass die hohen Schadstoff-Messwerte für Diesel-Fahrzeuge angeblich „wirklichkeitsfremd“ wären. Die deutsche Automobil-Industrie wird zweifelsohne Applaus klatschen.
Die alte Leier
Aber natürlich wird auch das Leib- und Magenthema der extremen Rechten entsprechend dekliniert. Etwa im Titel „Der Selbstmord Europas. Immigration, Identität, Islam“, ebenfalls erschienen in der Tichy-Edition im FBV. Der Werbetext: einschlägig. „Unkontrollierte Masseneinwanderung“ würde „Europa zerreißen“, wird etwa behauptet.
Und schließlich finden sich auch Sammelbände wie „Merkel. Eine kritische Bilanz.“ Dort wächst dann alles zusammen, was offenbar zusammen gehört: Sarazzin und Tichy, der einschlägig auffällige Politikwissenschaftler Werner Patzelt oder auch der Österreicher Andreas Unterberger, einst Chefredakteur der „Presse“ und der „Wiener Zeitung“.
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Frontal gegen gleiche Rechte
Auch die Forderung nach Gleichberechtigung von Frauen bekommt im Verlag FBV so einiges zu hören. Da gibt es etwa den Sammelband „Die Quotenfalle. Warum Genderpolitik in die Irre führt“. Die drei männlichen Herausgeber und ihre großteils männlichen Mit-Autoren führen dabei auf über 280 Seiten einen Kreuzzug gegen die Gleichberechtigung.
Eine Auswahl der Titel der einzelnen Beiträge im Buch: „Qualifikation statt Gleichstellung“, „Gender Mainstreaming. Wie eine Ideologie die deutschen Hochschulen infiltriert“, „Frauenquote – auf Kosten der Männer“ oder, damit es nun wirklich alle verstehen: „Die Männer sind nicht schuld“.
Die Liste einschlägiger Publikationen im FBV könnte noch lange weitergeführt werden. Oft sprechen bereits die Titel Bände. Etwa „Das deutsche Narrenschiff“. Untertitel: „Wie feige Karrieristen, selbst ernannte Intellektuelle und politisch korrekte Gutmenschen unser Land ruinieren.“ Gutmenschen. Ein klassischer Code der rechten Szene.
Wem gehört der Finanzbuch Verlag?
Interessant ist die Eigentümer-Struktur des FBV. Denn dabei handelt es sich keineswegs um einen unabhängigen Kleinverlag. Der FBV gehört zur „Münchner Verlagsgruppe“. Und die wiederum gehört dem schwedischen Medienkonzern Bonnier, einem der großen Player auf dem europäischen Medienmarkt. Im deutschsprachigen Raum gehören neben dem FBV unter anderem die Verlagsgruppe Ullstein und Piper zu Bonnier.
Vor allem die Ullstein-Gruppe war unter ihrem 2016 verstorbenen ehemaligen Langzeit-Eigentümer Herbert Fleissner bekannt für einschlägige Publikationen. Neben Titeln für den Massenmarkt brachte der weit rechte Burschenschafter, „Alter Herr“ der Burschenschaft Suevia Innsbruck, auch zahlreiche einschlägige Publikationen auf dem Markt. Auch Jörg Haiders ideologisches Bekenntnis „Die Freiheit, die ich meine“ erschien nicht zufällig bei Ullstein. Entsprechend gab es aus der einschlägigen Ecke regelmäßig Applaus für den rechten Verleger.
Was hat das alles mit Sebastian Kurz zu tun?
Aus all diesen Fakten kann natürlich nicht geschlossen werden, dass die Kurz-Biografin Judith Grohmann ideologisch mit den genannten Titeln übereinstimmen würde. Doch jede Person, die ein Buch herausgibt und Verlage dafür sucht, sieht sich üblicherweise zuvor das Profil eines Verlages an.
Und es darf als – mindestens – merkwürdig gelten, dass Grohmann gerade den Finanzbuch Verlag ausgewählt hat. Mindestens ebenso merkwürdig und auffallend ist, dass die ÖVP gegen diese Verlagswahl offensichtlich keinen Einspruch erhoben hat.
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