„Football has no gender“ steht groß auf dem Schal, der extra für diesen Anlass produziert wurde. Daneben der Totenkopf von St. Pauli und natürlich der Spruch „Home is where the graveyard is“ – denn die Sportklub-Fans feuern ihre Mannschaft auf der traditionsreichen Friedhofstribüne in Wien-Hernals an. Wenn der Wiener Sportklub gegen den FC St. Pauli spielt, dann treffen nicht nur zwei Vereine aufeinander. Beide sind bekannt für ihre engagierten Fans, für ihre antifaschistische Grundhaltung und für eine ganz spezielle Atmosphäre im Stadion.
Bild: Michael Bonvalot
Trotz des ungünstigen Termins zu Ferienende wollten mehr als 7.000 ZuseherInnen das Spiel der beiden Mannschaften sehen. Ursprünglich sollte das Spiel um 19 Uhr beginnen, doch der Flieger aus Hamburg hatte Verspätung. So konnte das Spiel mit eineinhalb Stunden Verspätung erst um 20.30 Uhr angepiffen werden.
Das tat der guten Stimmung allerdings keinen Abbruch, eher im Gegenteil. Bereits um 18 Uhr sorgen hunderte Menschen vor der Friedhofstribüne in der Alszeile für beste Stimmung. Stellvertretend die Reaktion einer guten Freundin, als ich sie vom späteren Beginn informierte: „Oida, da bin ich scho am Beginn des Spiels fett.“ Die ansonsten äußerst seriöse Lehrerin aus Wien möchte übrigens nicht namentlich genannt werden.
Bild: Michael Bonvalot
Für Miriam, Daniel, Nicki und Paul ist das Spiel ein Familienausflug. Sie sind in einer großen Gruppe gekommen und freuen sich schon sehr auf die Begegnung. Sie decken sich auch kräftig mit Merchandising ein: Nicki besorgt sich ein „Refugees welcome“-Trikot des Sportklub und den Schal zur Erinnerung an das Spiel, Paul eine Jacke mit Sportklub-Logo. Miriam hat ihr „Refugees welcome“-Trikot schon mitgebracht. Warum sie da sind? Alle sind sich einig: “ Sportklub gegen St. Pauli, das ist das beste Spiel in Europa!“. „Und selbstverständlich, weil Hernois einfach ois is“, ergänzt Nicki.
Die Friedhofstribüne der Sportklub-Fans ist bereits seit Tagen ausverkauft, auch die beiden Seitentribünen sind sehr gut besucht. Einzig auf der blauen Tribüne der St. Pauli-Fans könnte noch ein wenig mehr los sein. Als die Sportklub-Fans mit ihrem bekannten Sprechchor „Pirati Ciclisti Antifascisti“ starten, antworten die St. Pauli-Fans laustark mit „Alerta Alerta Antifascista„.
Für Gabriel Binder ist diese Atmosphäre ein wichtiger Grund, warum er heute hier ist. „Die linke und solidarische Stimmung hier macht erst den Genuss des Spiels“, sagt der 29-Jährige. Auch die Clubs wissen, was ihre Fans wollen. Vor Spielbeginn begrüßt Stadionsprecher Roland Spöttling die Präsidenten der beiden Teams. St. Pauli-Boss Oke Göttlich bekommt dabei von seinem Wiener Kollegen Manfred Tromayer ein „Refugees Welcome“-Trikot überreicht, das danach stolz präsentiert wird.
Bild: Michael Bonvalot
Der Sportklub ist dabei allerdings nicht immer konsequent. So wurde im April dieses Jahres Minister Hans Peter Doskozil als Ehrengast begrüßt. Der Sozialdemokrat Doskozil ist nicht nur Sportminister, sondern als Verteidigungsminister auch an der Asyl-Politik der Bundesregierung beteiligt. Dementsprechend wurde der Auftritt des Ministers damals mit gellenden Buh-Rufen quittiert.
Kommentiert wird das Spiel von Stadionsprecher Roland Spöttling. „Roly“ ist in dieser Rolle übrigens eine außergewöhnliche Persönlichkeit, denn er ist blind. Wie er seine Aufgaben dennoch erfüllen kann? „Man hört im Hintergrund wunderbar die Kulisse, das heißt, man weiß eigentlich immer, was sich tut. Du hörst auch die Schiedsrichterpfiffe und du hörst auch, wo gegen den Ball getreten wird. Für die Sachen, die man nicht hören kann, habe ich einen Assistenten, manchmal auch zwei, die das in einer beeindruckenden Art für mich erledigen, damit ich keinen Blödsinn sage“, erzählt Spöttling.
Bild: Michael Bonvalot
Sportlich haben beide Vereine bereits bessere Zeiten gesehen. Vor allem der Sportklub war einmal eine der großen Mannschaften in Europa. Der Verein war drei Mal österreichischer Meister, zwischen 1957 und 1959 wurde der Sportklub zwei Saisonen hintereinander mit nur einer einzigen Niederlage Meister. International fegte er damals unter anderem Juventus Turin, damals eine der besten Mannschaften Europas, mit 7:0 aus dem Praterstadion. In den 1970er Jahren begann allerdings der sportliche Niedergang. 1993 erreichte der Verein noch einmal den vierten Platz in der Bundesliga, doch in den letzten Jahren spielte der Sportklub zumeist in der dritten Liga.
Auch der FC St. Pauli kennt die Berg- und Talfahrt zwischen verschiedenen Ligen sehr gut. Heuer haben die Hamburger einen schlechten Start in die Saison erwischt und liegen aktuell am letzten Tabellenrang der zweiten deutschen Liga. Das Schicksal des schlechten Starts teilen die Pauli-Jungs übrigens mit dem Sportklub, der aktuell in der Regionalliga Ost auf Rang 13 von 15 Mannschaften liegt.
Für den Sportklub sind Spiele gegen Publikumsmagneten wie St. Pauli oder in der Vergangenheit gegen AS Roma und Paris St. Germain überlebenswichtig. Der Platz gilt als völlig marode, alle Tribünen müssen saniert werden. Bei Regen dringt das Wasser des unterirdisch verlaufenden Alsbachs in den Kabinentrakt. Seit Jahren wird über eine Sanierung gesprochen, seit Juni ist nun zumindest eine Teilsanierung des ältesten noch bespielten Sportplatzes Österreichs projektiert.
Während die Stimmung auf den Tribünen bestens ist, wird auf dem Rasen gefighted. Die ersten 20 Minuten kann der Sportklub gut mithalten, erzielt sogar das 1:0. St. Pauli gleicht zuerst aus, geht dann schnell 2:1 in Führung. Der Sportklub kontert unmittelbar und netzt zum 2:2 ein. Der Schiedsrichter gibt das Tor allerdings nicht, ein Abseits ist angezeigt. Die Fans auf der Seitentribüne Kainzgasse sehen das ein wenig anders, „Ostligaschiri“ tönt es von den Rängen (im Fall von Entscheidungen für den Sportklub wird dann der „Bundesligaschiri“ gelobt). Der Sportklub scheint danach gebrochen, am Ende des Spiels wird es 6:1 für die Gäste aus Hamburg stehen.
Bild: Michael Bonvalot
Die Sportklub Fans feuern ihre Mannschaft dennoch weiter an. Doch wie des Öfteren bei großen Spielern sind im Stadion auch viele „Gloryhunter“, die nicht so lautstark mitsingen, wie es sich viele eingefleischte Fans wünschen würden. Die kleine Gruppe von Pauli-Fans macht unterdessen weiter Stimmung, begünstigt von der überdachten blauen Tribüne, die für sehr gute Akustik sorgt. Marion, Anja und Helga sind sogar extra aus Hamburg nach Wien gekommen. „Wir verbinden das Spiel gleich mit einem Urlaub in Wien“, erzählt Helga. „Das Stadion hat eine super Atmosphäre. Auch die Fans sind wirklich nett, wir waren vorher hinter der Friedhofstribüne, alle Leute waren extrem freundlich.“
Bild: Michael Bonvalot
Alle drei sind Mitglieder im Fanclub „Roter Stern St. Pauli“. „Der Name ist Programm“, sagt Anja. „Wir sind im Stadion, aber auch in der Stadt aktiv. Wir gehen gemeinsam ins Stadion und genauso gemeinsam auf Demos.“ Auf Anjas T-Shirt steht „Die letzte Schlacht gewinnen wir“. Eigentlich ist das der Titel eines bekannten Songs der Ton Steine Scherben, der auf Demos in Deutschland und Österreich gern gesungen wird. Doch er passt auch wunderbar zur Lage und den Ambitionen der beiden Vereine