In einer Reihe von Wiener Bezirken könnte bald eine andere Partei die Bezirksvorstehung stellen. Sehen wir uns die Mehrheiten und die Wackelkandidaten an!
Bei der Wiener Gemeinderatswahl im kommenden Herbst wird nicht nur die Landesregierung gewählt. Auch die Bezirksvertretungen der 23 Gemeindebezirke werden neu bestimmt. Aktuell stellt die SPÖ in 15 Bezirken den oder die Bezirksvorsteherin, die ÖVP in vier, die Grünen in drei und die FPÖ in einem. Das bedeutet allerdings nicht, dass die jeweilige Partei dort tatsächlich eine Mehrheit hat.
Die jeweils stimmenstärkste Partei stellt automatisch die Bezirksvorstehung, auch wenn sie keine Mehrheit in der Bezirksvertretung hat. Entscheidend ist also immer die relative Mehrheit. Demokratiepolitisch ist das natürlich absurd.
So könnte es etwa passieren, dass Partei A in einen Bezirk die Bezirksvorstehung stellt, obwohl Partei B und Partei C gemeinsam eine Mehrheit hätten und gewillt wären, miteinander zu regieren. In der Josefstadt etwa, dem 8. Bezirk, hätten nach der letzten Wahl 2015 Grüne, SPÖ und die linke Grün-Abspaltung Echt Grün gemeinsam eine Mehrheit gehabt. Die Bezirksvorstehung ging aber dennoch an die ÖVP, weil sie die stärkste Einzelpartei war.
Enorm knappe Mehrheiten
Und genau das könnte bei der Wahl im Herbst 2020 sehr bedeutsam werden. Denn während einige Bezirke für die jeweilige Partei sehr gut abgesichert sind, waren die Mehrheiten in anderen Bezirken bei der Wahl 2015 enorm knapp.
Die beiden zentralen Wahlauseinandersetzungen verliefen im Jahr 2015 je nach Bezirk einerseits zwischen SPÖ und FPÖ und andererseits zwischen Grünen, ÖVP und SPÖ. Seitdem haben sich allerdings die politische Mehrheitsverhältnisse enorm verändert. So wird etwa die FPÖ in Wien massiv verlieren, die ÖVP wird nach allen Umfragen viele dieser rechten Stimmen aufsaugen und stark dazu gewinnen.
Wie sich die Regierungsbeteiligung der Grünen auswirkt, ist unklar. Vor allem das Wahlergebnis der Grünen könnte auch vom Erfolg der neuen Bündnispartei LINKS abhängen. Sehen wir uns also die Situation nach Bezirken an.
1. Bezirk, Innere Stadt
Während die ÖVP 2015 in ihrer traditionellen Hochburg nur noch knapp vor der SPÖ lag, wird die ÖVP diesmal sehr viele FPÖ-Stimmen holen. Damit wird es in der Inneren Stadt wieder eine klare türkise Mehrheit geben.
Ausblick: Stabile relative ÖVP-Mehrheit
2. Bezirk, Leopoldstadt
Bei der Wahl 2015 lag die Sozialdemokratie noch klar vorne, die Wahl musste dann allerdings im September 2016 wiederholt werden. Da setzten sich dann die Grünen mit 35,3 Prozent gegen die SPÖ mit 28,0 Prozent durch. Es ist unklar, ob die Grünen diese Mehrheit halten können.
Ausblick: Wackelkandidat
3. Bezirk, Landstraße
Gut abgesicherte Mehrheit der SPÖ südöstlich der Inneren Stadt.
Ausblick: Stabile relative SPÖ-Mehrheit
4. Bezirk, Wieden
Früher eine traditionelle Hochburg der ÖVP, doch seit 2010 stellt die SPÖ die Bezirksvertretung. Unklar ist, wie stark die Grünen abschneiden werden.
Ausblick: Wackelkandidat
5. Bezirk, Margareten
Ein traditioneller ArbeiterInnenbezirk im Süden mit klarer SPÖ-Mehrheit.
Ausblick: Stabile relative SPÖ-Mehrheit
6. Bezirk, Mariahilf
Frühere ÖVP-Hochburg, seit Jahren zwischen ÖVP, Grünen und SPÖ umkämpft. Derzeit stellt die SPÖ knapp vor den Grünen die Bezirksvertretung.
Ausblick: Wackelkandidat
7. Bezirk, Neubau
Frühere ÖVP-Hochburg, heute die österreichweite Hochburg der Grünen, 2015 hatten sie dort 41 Prozent. Die ÖVP wird zwar vermutlich stärker werden, doch das wird wohl nicht reichen.
Ausblick: Stabile relative Grün-Mehrheit
8. Bezirk, Josefstadt
Frühere ÖVP-Hochburg, war bereits grün regiert. 2010 hat die ÖVP die Bezirksvorstehung knapp zurückgeholt. Die ÖVP wird ihre Mehrheit vermutlich mit ehemaligen FPÖ-Stimmen absichern können.
Ausblick: Wackelkandidat, Vorteile für die ÖVP
9. Bezirk, Alsergrund
Derzeit stellt die SPÖ die Bezirksvorstehung, doch die Grünen wurden im Laufe der Jahre immer stärker.
Ausblick: Wackelkandidat, Vorteile für die SPÖ
10. Bezirk, Favoriten
Traditionelle Hochburg und so etwas wie die Wiege der österreichischen Sozialdemokratie. Bei der letzten Wahl allerdings lag die SPÖ nur noch knapp vor der FPÖ. Aufgrund des erwartbaren Absturzes der FPÖ nun wieder klar abgesichert.
Ausblick: Stabile relative SPÖ-Mehrheit
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11. Bezirk, Simmering
In Simmering, einer der traditionellen Hochburgen der ArbeiterInnenbewegung, konnte die FPÖ 2015 erstmals die Bezirksvorstehung stellen. Eine unglaubliche Ohrfeige für die SPÖ, die in Simmering in den 1970er Jahren noch über 70 Prozent (!) der Stimmen hatte. Aufgrund des erwarteten Absturzes der FPÖ wird es einen Wechsel geben.
Ausblick: Stabile relative SPÖ-Mehrheit
12. Bezirk, Meidling
ArbeiterInnenbezirk im Süden mit gut abgesicherte SPÖ-Mehrheit.
Ausblick: Stabile relative SPÖ-Mehrheit
13. Bezirk, Hietzing
Mit knapp 40 Prozent ist die Reichen-Hochburg gleichzeitig auch DIE Hochburg und der stärkste Bezirk der ÖVP in Wien. Enorm gut abgesichert, die ÖVP wird noch zulegen.
Ausblick: Stabile ÖVP-Mehrheit
14. Bezirk, Penzing
Traditioneller SPÖ-Bezirk im Westen der Stadt, kein Wechsel in Sicht.
Ausblick: Stabile relative SPÖ-Mehrheit
15. Bezirk, Rudolfsheim-Fünfhaus
Starker SPÖ-Bezirk rund um die Äußere Mariahilferstraße, Mehrheitswechsel unrealistisch.
Ausblick: Stabile relative SPÖ-Mehrheit
16. Bezirk, Ottakring
ArbeiterInnenbezirk mit Gemeindebauten und Brunnenmarkt sowie dem Yppenplatz als Hauptplatz der linken Szene Wiens.
Ausblick: Stabile relative SPÖ-Mehrheit
17. Bezirk, Hernals
Der nächste starke SPÖ-Bezirk am Gürtel, daran wird sich auch nicht ändern.
Ausblick: Stabile relative SPÖ-Mehrheit
18. Bezirk, Währing
Eigentlich eine ÖVP-Hochburg doch 2015 haben die Grünen hauchdünn gewonnen und konnten erstmals die Bezirksvorstehung stellen. Fraglich, ob diese Mehrheit halten wird.
Ausblick: Wackelkandidat
19. Bezirk
Trotz Karl-Marx-Hof seit 1978 eine ÖVP-Hochburg. 2018 ging allerdings Adolf Tiller in Pension, der seit 1978 durchgehend Bezirksvorsteher für die ÖVP war, also unfassbare 40 Jahre. 2015 war die ÖVP-Mehrheit nur noch schwach abgesichert, es bleibt abzuwarten, was der Rücktritt von Tiller bedeutet.
Ausblick: Wackelkandidat mit Vorteilen für die ÖVP
20. Bezirk, Brigittenau
Traditioneller ArbeiterInnenbezirk, Hochburg der Sozialdemokratie. Früher im Gleichklang mit dem 10., 11., 21. und 22. einer der „Big Five“ mit den besten Ergebnissen der SPÖ. Doch während in den vier anderen Bezirken in den letzten Jahrzehnten auch die FPÖ stärker wurde, blieb sie in der Brigittenau verhältnismäßig schwach.
Ausblick: Stabile relative SPÖ-Mehrheit
21. Bezirk, Floridsdorf
Traditionelle Hochburg der Sozialdemokratie in Transdanubien. Bei der Wahl 2015 lag die SPÖ dann allerdings nur noch 1,2 Prozent vor der FPÖ. Diesmal wird die FPÖ abstürzen, davon wird die Sozialdemokratie profitieren.
Ausblick: Stabile relative SPÖ-Mehrheit
22. Bezirk, Donaustadt
Ein ähnliches Bild wie im transdanubischen Nachbarbezirk. In Donaustadt war die SPÖ-Mehrheit aber auch 2015 noch besser abgesichert als in Floridsdorf.
Ausblick: Stabile relative SPÖ-Mehrheit
23. Bezirk, Liesing:
Traditionelle Hochburg der SPÖ im Süden, das wird auch so bleiben.
Ausblick: Stabile relative SPÖ-Mehrheit
Was bedeutet das alles?
Auf Bezirksebene wird die SPÖ vom Absturz der FPÖ profitieren. Sie wird Simmering zurückholen und vermutlich keine Bezirke verlieren. Wieden und der Alsergrund wackeln zwar, doch auch dort steht die SPÖ nicht schlecht da. Spannend wird der Kampf mit den Grünen um den zweiten Bezirk.
Die FPÖ wird desaströs abschneiden und nicht nur Simmering, sondern auch viele Mandate im Landtag und in den Bezirksvertretungen verlieren. Die neue Strache-Partei TS wird ihr ebenfalls Stimmen abnehmen und vermutlich in den Gemeinderat und wohl auch in alle Bezirksvertretungen einziehen.
Bereits jetzt gibt es in verschiedenen Bezirken Übertritte von der FPÖ zu Strache – über den Sommer könnten noch mehr Ratten das sinkende FPÖ-Schiff verlassen. Die ÖVP wird die klare Gewinnerin dieser Wahl sein. Das ist allerdings auch nicht schwer: 2015 hatte sie auf Bezirksebene nur noch 12,0 Prozent geholt, bei der Gemeinderatswahl waren es überhaupt nur noch 9,2 Prozent. Nun wird die ÖVP auf Kosten der FPÖ massiv zulegen – ein entsprechend rechter Wahlkampf im Match mit FPÖ und Strache ist von der ÖVP zu erwarten.
Grüne wackeln
Für die Grünen könnte der Wahlabend bitter werden. Der 7. Bezirk, Neubau, ist wohl gut abgesichert, doch im 2. und 18. Bezirk könnte es eng werden. Dass die Grünen die Josefstadt zurückholen, ist eher unwahrscheinlich, andere Zugewinne sind sehr fraglich. Die Grünen werden wohl den Preis für die Koalition mit der ÖVP bezahlen.
Die neoliberalen Neos hatten auf Bezirksebene wienweit 5,5 Prozent und werden damit keine Rolle spielen. Leichte Zugewinne sind jedenfalls möglich.
LINKS wird vermutlich in 10 bis 15 Bezirken in die Bezirksvertretungen einziehen. Offen ist hier, wie gut das Wahlbündnis mit Wien Andas/KPÖ funktionieren wird und ob es im 20. Bezirk eine Absprache mit der traditionell dort kandidierenden SLP gibt. Auch links denkende SympathisantInnen von SPÖ und Grünen würden wohl politisch von guten LINKS-Ergebnissen profitieren – beide würden damit mehr Druck von Links spüren.
Ob LINKS ihre Mandate dann für das Propagieren gesellschaftlicher Veränderungen nützen kann – oder sich bei Auseinandersetzungen um Zebrastreifen und Bauordnungen aufreibt – wird die Zukunft zeigen. Für die Wiener Linke besteht eine Hoffnung damit wohl darin, dass LINKS groß genug und jenseits der Systemgrenzen denkt.
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