„Dürfte nur die Spitze des Eisbergs sein“

[jw] Österreich: Ermittler heben größeres Waffenlager aus. Vermutlich Lieferung für deutsche Neonazis. Ein Gespräch mit Michael Bonvalot.

Ein Interview mit mir in der deutschen Tageszeitung junge welt, geführt von Marc Bebenroth.

Die Polizei in Österreich hat bei Ermittlungen gegen Drogenhändler einen größeren Bestand an Waffen und Munition sichergestellt. Die mehr als 70 automatischen und halbautomatischen Schusswaffen und Granaten sowie Munition in sechsstelliger Menge sollen womöglich für den Aufbau einer faschistischen Miliz in Deutschland bestimmt gewesen sein (jW vom 15.12.). Was wusste man bis dahin über Netzwerke zwischen militanten Neonazis, Waffen- und Drogenhändlern?

Es dürfte schon seit längerer Zeit Versuche geben, über den Drogenhandel Mittel für Waffenkäufe zu generieren. Was wir auch schon länger wissen, ist, dass es ein Mischmilieu gibt, vor allem bei den älteren Neonazis. Es umfasst Faschisten, rechte Motorradklubs und organisierte Kriminalität.

Woher Waffen und Munition aus dem aktuellen Fund stammen, ist derzeit noch unklar. Aus Deutschland wissen wir, dass Neonazis Waffen und Munition auch aus Beständen von Militär und Polizei beschaffen. Für Österreich fehlen uns da noch entsprechende Informationen. Die Zusammensetzung der Waffen wirkt jedenfalls eher zusammengestoppelt und nicht wie ein Arsenal aus regulären Militärbeständen.

Welches Ausmaß hatten ähnliche Entdeckungen in der Vergangenheit?

Es gab immer wieder Waffenfunde in der Neonaziszene. 2002 wurden sogar bereits einmal 106 Schusswaffen und fast 60.000 Schuss Munition gefunden. Den Tätern ist so gut wie nichts passiert. Da gab’s dann am Schluss vier Geldstrafen. Der neueste Waffenfund war sicherlich ein sehr großer im Verhältnis zu dem, was ansonsten entdeckt wird. Es dürfte dennoch nur die Spitze des Eisbergs sein.

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Und es ist ganz logisch, dass das über Österreich läuft. Es haben relativ viele österreichische Neonazis in den 1990er Jahren im Jugoslawien-Krieg auf der Seite faschistischer kroatischer Milizen gekämpft. Aus dieser Zeit bestehen noch heute sehr enge Verbindungen zu diesen faschistischen Balkan-Milieus und damit auch in die organisierte Kriminalität. Es wäre also sehr plausibel, wenn auch die aktuellen Waffen vom Westbalkan kommen und via Österreich nach Deutschland geliefert werden sollten.

Als Organisator des nun aufgedeckten Waffenhandels gilt für die österreichischen Ermittler der 53 Jahre alte Neonazi Peter B. Was ist über ihn bislang bekannt?

Peter B. ist ein seit Jahrzehnten aktiver Kader der Neonaziszene. Er wurde immer wieder verurteilt zu verschiedenen Haftstrafen, vor allem wegen Wiederbetätigung (Verstoß gegen das seit 1947 in Österreich geltende Verbot einer »Betätigung im Sinne des Nationalsozialismus«, jW), so beispielsweise im Jahr 1995 zu fünf Jahren Haft. Im gleichen Prozess wurde er auch wegen der Beteiligung an einer neonazistischen Anschlagsserie, der sogenannten Briefbombenserie, angeklagt. Zuvor waren bei ihm Gewehre, Pistolen, Sprengstoff sowie Anleitungen zum Bau von Bomben gefunden worden. Da wurde er rechtskräftig freigesprochen. Später wurde Franz Fuchs als Einzeltäter hinter der Briefbombenserie verurteilt, doch bis heute bestehen große Zweifel daran, ob Fuchs wirklich allein handelte.

Morde und Briefbomben – war Franz Fuchs ein Einzeltäter?

B., der jetzt als Haupttäter gilt, ist jemand, der jahrelang engste Verbindungen zur Berliner Neonaziszene hatte. Er ist erst kürzlich in Deutschland wieder aufgeschlagen, weil seine Aktivitäten offenbar in verschiedenen Untersuchungsausschüssen rund um den NSU-Terror zur Sprache kamen, wie die Plattform stopptdierechten.at berichtet. Manche Neonazis im Umfeld des NSU hatten offenbar Jahre vor den ersten Morden Kontakt zu B.

Beim NSU-Terror spielt auch der Staat mit seinen Verfassungsschutzämtern eine wichtige Rolle. Inwiefern gibt es dazu Parallelen in Österreich, in diesem und vielleicht auch anderen Fällen?

Dieses »V-Mann«-Wesen, das sich über Jahrzehnte in Deutschland etabliert hat, ist in Österreich nicht in der gleichen Form üblich. Hierzulande wird die Neonaziszene wohl zumindest nicht de facto vom Verfassungsschutz finanziert.

In der BRD forderten Vertreter der Opposition rasche Aufklärung und mehr Informationen rund um den jüngsten Waffenfund. Wie fielen die Reaktionen in Österreich aus?

Die Reaktionen waren so ein kurzes, sensationell aufgebauschtes »Oh! Da gibt es Neonazis und die haben Waffen«. Jetzt ist das Ganze aus der Wahrnehmung schon wieder verschwunden nach dem Motto: »War da was?« Nach wenigen Tagen war wieder »Business as usual«. Das ist das Problem mit der Medienlogik: Es gibt derzeit nichts Neues zu berichten. Hinzu kommt, dass Deutschland bevölkerungsmäßig zehnmal so groß wie Österreich ist und hier entsprechend weniger Journalistinnen und Journalisten arbeiten, die in dem Fall recherchieren könnten.

Es sind in der Tat noch viele Fragen offen.

So ist es. Man könnte denen möglicherweise über parlamentarische Anfragen nachgehen, aber auch da können die Behörden immer sagen, dass sie aus ermittlungstaktischen Gründen keine Auskunft geben. Wesentliche Fragen wären etwa: Woher kommen die Waffen? Wer sind die Hintermänner? Und: Wie sind die Verbindungen zwischen österreichischer, deutscher und kroatischer Neonaziszene?

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Wir wissen bis heute nicht, wer und wie viele österreichische und deutsche Neonazis tatsächlich in Kroatien als Söldner gekämpft haben und an welchen Verbrechen sie beteiligt waren. Wir wissen zudem nichts über die gefundene Munition oder woher die Drogen kommen. Wir müssten viel mehr darüber wissen, wie die Verbindungen zwischen Neonazis und organisierter Kriminalität laufen. Es gibt entsprechende Strukturen, beispielsweise den Neonaziverein »Objekt 21« in Oberösterreich mit besten Verbindungen vor allem nach Bayern und Thüringen. Von dort ist es nicht weit zum NSU, Stichwort Thüringer Heimatschutz. Gleichzeitig war »Objekt 21« tief in der organisierten Kriminalität vernetzt. Die Gruppe wurde 2011 von den Behörden zerschlagen, existierte aber im Untergrund weiter. Auf alle diese offenen Fragen müssen wir jetzt Antworten bekommen.

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