Der Täter von Halle dürfte die Tat allein ausgeführt haben. Doch Medien und Behörden machen daraus einen „Einzeltäter“. Warum das ebenso unsinnig wie gefährlich ist.
Was wissen wir? Nach gegenwärtigen Stand der Ermittlungen wird davon ausgegangen, dass für die Attentate auf die Synagoge und auf ein Döner-Restaurant in Halle ein einziger Schütze verantwortlich ist. Dabei handelt es sich um den 27-jährigen Stephan B., der die Tat inzwischen gestanden hat.
Immer mehr Medien und Behörden machen nun aus Stephan B. einen Einzeltäter. Doch das ist faktisch unbewiesen und inhaltlich unsinnig.
Denn real wissen wir noch sehr wenig. Auch wenn der Schütze allein auf der Straße gewesen ist, kann niemand zum gegenwärtigen Zeitpunkt wissen, ob er die Tat allein geplant und logistisch vorbereitet hat oder ob es MitwisserInnen und UnterstützerInnen gab.
Was wir jedenfalls wissen: Dass es extrem rechte Terrornetzwerke in Deutschland gibt. Der NSU (der weit mehr Personen umfasst als die drei HaupttäterInnen), das Hannibal-Netzwerk/Nordkreuz, C18 oder die Gruppe Freital sind nur einige Stichworte.
Die Identitären und der japanische Faschismus – Ein Code für Putsch, Gewalt und Diktatur
Erst am 09.10. gab es zuletzt Hausdurchsuchungen in Thüringen, Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Bayern gegen mögliche neonazistische Terrorzellen. Eine Gruppe von Neonazis aus dem Netzwerk Nordkreuz aus Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg wollte bereits 200 Leichensäcke und Ätzkalk bestellen, wie im Juni 2019 bekannt wurde. Sie hatten sich mit Listen von 25.000 „Feinden“ auf einen „TagX“ vorbereitet. Wie in vielen anderen Fällen gibt es auch hier Kontakte der mutmaßlichen Terroristen zu extrem rechten PolizistInnen.
Was den Fall in Halle betrifft, wissen wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt schlichtweg nicht, ob und wie viele Personen im Hintergrund beteiligt sind. Das hat auch die (extrem mangelhafte!) Aufklärung des NSU-Komplex gezeigt.
Gibt es MitwisserInnen? UnterstützerInnen?
Immer neue mögliche MitwisserInnen und Beteiligte sind im Zuge von Recherchen aufgetaucht. In diesem Zusammenhang an die KollegInnen in den Medien: Es ist eine Frage der journalistischen Sauberkeit und Ethik, antifaschistische Recherchekollektive auch korrekt als Quellen zu nennen und nicht ungenannt deren Rechercheergebnisse zu übernehmen. #dankeantifa
Auch in Österreich gibt es heute in einer wichtigen Neonazi-Ermittlung viele ungelöste Fragen. Der Neonazi Franz Fuchs soll als „Einzeltäter“ in den Jahren 1993 und 1997 zahlreiche Briefbomben verschickt haben und vier Menschen im burgenländischen Oberwart ermordet haben. Doch immer wieder gab es zahlreiche fundierte Zweifel an der Einzeltäter-These, die bis heute nicht widerlegt sind. Fuchs selbst kann nicht mehr befragt werden, er hat in der Zelle mutmaßlich Suizid begangen.
Unter anderem könnte es MittäterInnen im Innenministerium gegeben haben. Sogar der damalige Innenminister Caspar Einem sagte im Oktober 1995: „Es gibt Hinweise, dass die Täter Kenntnis von bestimmten Papieren haben, die es bei uns im Haus gibt“.
Doch auch, falls der Täter von Halle die Tat allein ausgeführt haben sollte, gibt es in solchen Fällen politische Milieus. Der norwegische faschistische Massenmörder Anders Breivik hat sein Manifest an rund 1000 E-Mail-AdressatInnen in ganz Europa verschickt.
Es gibt ein politisches Umfeld
Daneben blendet die Einzeltäter-Behauptung die ideologischen Umfelder aus. Der mutmaßliche Täter war, so die bisher bekannten Videoaufnahmen authentisch sind, offensichtlich ideologisch überzeugt antisemitisch, rassistisch und antifeministisch. Woher kommen seine einschlägig faschistischen Überzeugungen? Wo hat der mutmaßliche Täter sie kennengelernt? In welchen politischen Milieus hat er sich bewegt?
In diesem Zusammenhang muss daran erinnert werden, dass Halle bereits seit Jahren Schwerpunkt rechter Aktivitäten ist. So hat unter anderem die neofaschistische Gruppe Identitäre dort ihre bundesweite Zentrale. Die extrem rechte AfD ist in der Region gut verankert.
Schließlich ist die Behauptung eines Einzeltäters oftmals Vorstufe zur Pathologisierung. Der Täter wäre angeblich verrückt, somit ist eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den ideologischen Grundlagen nicht mehr erforderlich.
Wer das faschistische Attentat von Halle tatsächlich in all seinen Dimensionen verstehen will, wird sich mit den Hintergründen, möglichen Hintermännern/frauen und vor allem den ideologischen Grundlagen auseinandersetzen müssen.
Die Behauptung der mutmaßliche Täter von Halle wäre Einzeltäter, verhindert die Aufklärung der Hintergründe. Sie trägt nichts zur Aufklärung und nichts zum Verständnis bei. Sie ist im Gegenteil gefährlich, weil sie falsche Sicherheiten vorgibt, wo Wachsamkeit erforderlich ist.
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