Das bedeutet die Corona-Krise für wohnungslose Menschen

Bild: Manuel Alvarez

Die „Initiative Sommerpaket“ setzt sich für die Rechte wohnungsloser Menschen ein. Nun erklären die AktivistInnen die Probleme der Coronona-Ausgangsbeschränkungen für Betroffene – und fordern die Öffnung der Hotels.

Während manche Menschen sich aktuell tatsächlich schlichtweg unverantwortlich verhalten, haben andere gar keine andere Möglichkeit, als den öffentlichen Raum zu nützen. Das betrifft vor allem wohnungslose Menschen. Und Berichte von MitarbeiterInnen der Wohnungslosenhilfe sowie in verschiedene Medien deuten darauf hin, dass diese Gruppe nun sogar besonders ins Visier genommen wird.

Wohin sollen die Menschen gehen?

So schreiben etwa die Niederösterreichischen Nachrichten am 18. März, dass es im Waldviertel Anzeigen gegen „mutmaßliche Bettler“ gegeben hätte. Ein Mitarbeiter aus der Wohnungslosenhilfe in Wien berichtet mir, dass einer seiner Klienten allein am Dienstag zweimal von der Polizei kontrolliert worden sei, weil er sich in einem Park aufgehalten habe.

Beim zweiten Mal habe der Klient dann sogar eine Strafe von 3600 Euro bekommen. Der Mitarbeiter fragt: „Die meisten Tagesstätten haben aktuell wegen Corona geschlossen. Was sollen die wohnungslosen Menschen denn nach Meinung der Behörden tun?“

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Und das Problem könnte sich bald noch verschärfen: Ende April läuft das sogenannte Winterpaket in Wien aus. Im Rahmen dieses Pakets stehen zusätzliche Notschlafstellen für wohnungslose Menschen zur Verfügung – diese Schlafplätze würden dann verschwinden. [Update: Am 30.03. hat die Stadt Wien in einer Aussendung bekanntgegeben, dass das Winterpaket bis Anfang August verlängert würde. Wie viele Schlafplätze tatsächlich bis Anfang August zur Verfügung stehen können, stehe noch nicht endgültig fest. „An manchen Standorten könnte es schwierig werden, weil das betreffende Gebäude beispielsweise schon vorher anders genutzt werden muss“, so die Stadt Wien.]

Mehr als tausend Anzeigen

Insgesamt gab es bis Freitagvormittag bereits über 1200 Anzeigen wegen Verstoß gegen die neuen Ausgangsbeschränkungen. Das sagte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) am Freitagmittag auf einer Pressekonferenz. Und die Zahlen dürften weiter sprunghaft ansteigen.

So waren es am Freitagvormittag in der Bundeshauptstadt Wien noch rund 550 Anzeigen. Binnen 24 Stunden kamen dann nochmals rund 300 Anzeigen dazu, so ein Polizeisprecher am Samstag gegenüber der APA.

Das fordern AktivistInnen

Die Initiative Sommerpaket beschäftigt sich bereits seit langem ausführlich mit der Situation wohnungsloser Menschen in Wien. Ich habe mit Kiki und Johannes von der Initiative über die aktuelle Lage und über ihre Forderungen gesprochen. Kiki ist 29, sie arbeitet in einer Einrichtung des sogenannten Winterpakets. Johannes ist 41, er arbeitet in einer ganzjährig geöffneten Einrichtung.

Könnt ihr schildern, vor welchen Problemen wohnungslose Menschen aktuell stehen?

Johannes: Die Menschen, die derzeit in den Einrichtungen des Winterpakets und in den Notschlafstellen leben, müssen tagsüber aus den Einrichtungen raus. Sie haben also gar keine andere Möglichkeit, als sich im öffentlichen Raum aufzuhalten. (Update 28.03.: Die Stadt Wien hat inzwischen, „wo es möglich“ ist, die Quartiere auf 24-Stunden-Betrieb umgestellt).

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Kiki: Viele wohnungslose Menschen sind damit aktuell gezwungen, Risikoverhalten zu setzen. Sie haben derzeit untertags nicht einmal die Möglichkeit, sich die Hände zu waschen. Wo sollen sie sich auch die Hände mit Seife waschen, wenn sie von acht Uhr in der Früh bis sechs Uhr am Abend auf der Straße unterwegs sein müssen?

Was denkt ihr dann über die aktuellen Ausgangsbeschränkungen?

Johannes: Selbstverständlich ist es richtig, dass Menschen sich aktuell nicht im öffentlichen Raum aufhalten sollen. Doch was tun wir mit Menschen, für die das einfach nicht möglich ist?

Kiki: Gleichzeitig müssen wir aufpassen, dass solche autoritären Maßnahmen wie jetzt nicht einfach beibehalten werden. So sollte nach unserer Meinung das Bundesheer nur unter Leitung ziviler Organisationen und für logistische Unterstützung eingesetzt werden, aber keinesfalls für ordnungspolitische Maßnahmen.

Was wäre euer Vorschlag?

Kiki: Unser Vorschlag und unsere Forderung ist, dass die Hotels sofort für wohnungslose Menschen geöffnet werden. Die Hotels stehen derzeit weitgehend leer – gleichzeitig gibt es dort die entsprechende Infrastruktur, die entsprechenden sanitären Möglichkeiten und genug Platz für mögliche Quarantäne-Notwendigkeiten. Außerdem gibt es in den Hotels mehr Platz. Und es ist enorm wichtig, dass Menschen keinen Lagerkoller bekommen.

Johannes: Das wäre auch ein konkreter und gesellschaftlich sinnvoller Beitrag der Tourismus-Industrie im Austausch für die enormen Subventionen und Hilfspakete, die nun in diesen Sektor fließen werden.

Wie ist die Lage in den Einrichtungen?

Johannes: Auch da gibt es enorme Probleme. Bei mir in der Einrichtung leben beispielsweise 150 Menschen auf sehr engem Raum. Für rund 30 Personen gibt es gerade einmal einen Sanitärraum.

Kiki: Und das geht leider noch schlimmer. Es gibt Einrichtungen, wo bis zu 200 Menschen leben. Und nicht in allen Einrichtungen gibt es im Zimmer fließendes Wasser. Wenn es den Verdacht gibt, dass Menschen krank sind, ist es unter diesen Bedingungen überhaupt nicht möglich, den medizinischen Empfehlungen zur Quarantäne Folge zu leisten. Auch deshalb müssen die Hotels geöffnet werden.

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Johannes: Solche Unterkünfte sind vor allem in dieser Situation schlichtweg unverantwortlich für die KlientInnen, für die MitarbeiterInnen und für die gesamte Gesellschaft. Welche Folgen es haben kann, wenn die Menschen in diesen beengten Verhältnissen leben müssen, sehen wir bereits an zwei Beispielen: In Hamburg steht bereits ein Wohnungslosenheim in Corona-Quarantäne, in Salzburg ein Flüchtlingsheim mit 162 BewohnerInnen.

Wie sieht es aktuell mit euren eigenen Arbeitsbedingungen aus?

Johannes: Wir haben viel zu wenig Informationen und es fehlt die Schutzausrüstung. Wir wissen etwa nicht, was der aktuelle Stand der Forschung im Hinblick auf die Übertragung ist. Wir haben die Anweisung, Schutzausrüstungen zu tragen, aber wir haben keine und wir sind auch nicht eingeschult.

Kiki: Der Sozialbereich, die Medizin und die Pflege wurden über viele Jahre finanziell ausgehungert. Jetzt zeigt sich, welche Probleme dadurch für die betroffenen Menschen und für die MitarbeiterInnen entstehen. Aktuell werden Milliarden an Hilfspaketen geschnürt, Geld ist also offenbar da. Spätestens jetzt ist es somit höchste Zeit, den Sozial- und Gesundheitsbereich ausreichend auszustatten.

Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für euch und eure KlientInnen!

(Am 30.03. ergänzt um die Verlängerung des Winterpakets)

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