Ist das neue Staatsschutzgesetz der Weg in den Polizeistaat?

Bild: Michael Bonvalot

Der Gesetzesentwurf bringt viel Handhabe gegen die Bürger und wenig Kontrolle für die Überwacher.

[Erstveröffentlichung: Vice] Die Republik Österreich rüstet auf—und ein wesentliches Element dieser Aufrüstung ist das neue Staatsschutzgesetz, das in Kürze in Kraft treten soll. Dieses Gesetz ist extrem umstritten und wird unter anderem von der österreichischen Richtervereinigung oder vom österreichischen Rechtsanwaltskammertag vehement kritisiert.

Auch NGOs und kritische JuristInnen warnen vor dem neuen Gesetz. Der AK Vorrat hat eine Petition gegen das Gesetz gestartet, die bisher von fast 22.000 Menschen unterschrieben wurde. Das „Netzwerk kritische Rechtswissenschaften“ www.kritische-rechtswissenschaften.at hat ebenfalls eine scharfe Kritik am geplanten Gesetz veröffentlich und nennt es einen „Schritt in den Polizeistaat“.

Der Entwurf zu diesem Gesetz wurde immer hinaus gezögert und auch verändert, doch nun haben sich die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP geeinigt. Ende November wurde eine Regierungsvorlage präsentiert. Offenbar ist der Entwurf aber vor allem innerhalb der Sozialdemokratie weiterhin hoch umstritten. SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder, der den Entwurf kurz zuvor auf Twitter noch gelobt hatte, zeigte sich bereits am 1. Dezember offen für weitere Änderungen.

In der jetzigen Regierungsvorlage wurden einige Änderungen gegenüber dem Erstentwurf vom Frühjahr vorgenommen, doch größtenteils sind diese schlicht kosmetischer Natur. So stand im ersten Entwurf, dass künftig Menschen dann beobachtet werden sollen, wenn es zu „weltanschaulich“ motivierter Gewalt kommt. In der Regierungsvorlage ist nun von „ideologischer“ Motivation die Rede. Macht zwar keinerlei Unterschied, klingt aber eventuell gefährlicher.

Auch bei anderen Änderungen wurde getrickst. Der Jurist Christof Tschohl, Obmann des AK Vorrat, nennt als Beispiel, dass die Möglichkeit, bezahlte Informanten—sogenannte V-Leute—zu beauftragen, zwar aus dem Entwurf zum Staatsschutzgesetz gestrichen wurde. Dafür wurde derselbe Punkt einfach als Änderung im Sicherheitspolizeigesetz ergänzt.

Angelika Adensamer und Maria Sagmeister vom Netzwerk kritische Rechtswissenschaften erläutern, dass mit dem neuen Gesetz die Befugnisse der Polizei künftig massiv ausgeweitet werden würden. Adensamer sagt: „Die offizielle Begründung für die Notwendigkeit eines neuen Gesetzes ist natürlich der Kampf gegen den Terrorismus. Doch ein genauerer Blick auf den Entwurf zeigt, dass es bei diesem Gesetz um viel mehr geht.“

Sagmeister kritisiert, dass mit dem Staatsschutzgesetz die Ermittlungen keiner gerichtlichen Kontrolle unterliegen würden: „Die Polizei kann nach dem neuen Gesetz weitgehend eigenmächtig bestimmen, wie sie wen wann und weshalb überwacht.“ Das zentrale Element des neuen Gesetzes ist der Schutz vor sogenannten „verfassungsgefährdenden Angriffen“.

Tatsächlich aber finden sich im Entwurf für das Gesetz nicht nur terroristische Handlungen, sondern auch beispielsweise Verhetzung, das Gutheißen strafbarer Handlungen oder die Herabwürdigung staatlicher Symbole. Auch der vielkritisierte Gummi-Paragraph Landfriedensbruch wird im Staatsschutzgesetz verpackt. Wer einen solchen „führend“ plant, ist bereits „Verfassungsgefährder“.

Bei einigen Passagen im Gesetz entsteht der Eindruck, dass besonders problematische Stellen bewusst verborgen wurden. So werden manche Tatbestände, die vom Gesetz erfasst werden sollen, explizit genannt, etwa das NS-Verbotsgesetz. Bei anderen aber wird nur sehr allgemein auf bestimmte Abschnitte im Strafgesetz verwiesen. Erst wer das nachrecherchiert, findet dort dann unter anderem den § 248, die „Herabwürdigung des Staates und seiner Symbole“.

In diesem Paragraphen steht das Verbot, in der Öffentlichkeit „in gehässiger Weise die Republik Österreich oder eines ihrer Bundesländer“ zu beschimpfen—darauf steht übrigens bereits jetzt eine Strafe von bis zu einem Jahr Gefängnis. Ebenfalls zu bestrafen ist, wer die „Fahne der Republik Österreich oder eines ihrer Bundesländer, ein von einer österreichischen Behörde angebrachtes Hoheitszeichen, die Bundeshymne oder eine Landeshymne“ beschimpft oder verächtlich macht.

Im Klartext: Wer sich öffentlich beispielsweise vor eine burgenländische Fahne stellt und „Arschloch“ zu ihr sagt, macht sich strafbar. Künftig kann dann sogar der Verfassungsschutz mit dem Staatsschutzgesetz auf den Plan treten und ermitteln. Das betrifft dann sowohl die Person selbst, wie auch ihre Kontakte, erläutert Christof Tschohl vom AK Vorrat.

Einige Medien, etwa Der Standard,haben berichtet, dass so etwas mit dem aktuellen Entwurf zum Gesetz nicht mehr möglich sei. Laut Standard wurden alle „Beleidigungsdelikte gegen den Staat“ aus dem Gesetz gestrichen. Im Entwurf sind genau diese Delikte allerdings weiterhin vorhanden.

„Es bleibt unklar, wer und in welchem Ausmaß überwacht wird. Und wer nicht weiß, ob er überwacht wird, kann auch schwer dagegen protestieren.“

Ebenfalls versteckt sind laut Tschohl einige weitere Giftzähne. So könnte bereits eine „gefährliche Drohung“ für eine Ermittlung durch den Staatschutz und die Aufnahme in die Terror-Datenbank reichen, wenn sie „ideologisch motiviert“ ist. Überwacht werden können mit dem neuen Gesetz nicht nur die Personen selbst, die ins Visier der Fahnder geraten, sondern auch alle ihre Kontakte. Maria Sagmeister nennt als mögliches Beispiel ein/e Facebook-Freundin oder die gemeinsame Zusage zu einer Facebook-Veranstaltung.

In der geplanten Analysedatenbank werden dann nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch deren Kontaktpersonen erfasst. Der Umfang der gesammelten Daten ist dabei enorm. So kann beispielweise erfasst werden, wo ein Handy (und damit auch dessen BesitzerIn) gerade ist, wer wann mit wem telefoniert oder wann jemand wo im Internet gesurft hat.

Gleichzeitig gibt es aber kaum eine Überwachung der Überwacher. Christof Tschohl kritisiert, dass es keinerlei routinemäßige Überprüfung gibt, was gespeichert wird oder ob gesetzliche Löschungsfristen eingehalten werden. „Es bleibt unklar, wer und in welchem Ausmaß überwacht wird. Und wer nicht weiß, ob er überwacht wird, kann auch schwer dagegen protestieren“, so Tschohl. Und es gibt noch ein weiteres Problem: „Der Verfassungsschutz darf alle Daten 6 Jahre lang speichern. Wer auf diese Daten zugreift wird aber dann nur 3 Jahre lang gespeichert.“

Auch Angelika Adensamer vom Netzwerk kritische Rechtswissenschaften warnt: „Viele Menschen denken, dass sie diese Überwachung nicht betrifft, weil sie nichts zu verbergen hätten. Doch geht es nicht zuletzt ums Prinzip, der Staat schränkt hier Freiheit zugunsten angeblicher Sicherheit ein.“

Die Informationen aus der neuen Analysedatenbank bleiben nicht nur in Österreich, sondern dürfen auch an ausländische Geheimdienste weitergegeben werden. Tschohl erläutert, dass jemand zufällig oder aufgrund der Bandbreite der Tatbestände ins Visier der FahnderInnen geraten könnte und dann enorme Probleme bei der Einreise in ein anderes Land bekommt: „Die Person scheint dann offiziell in einer österreichischen Terror-Analysedatenbank auf.“ Dass das bei der Einreise in manche Länder schwierig werden kann, liegt auf der Hand.

Ebenfalls neu eingeführt werden mit dem Staatsschutzgesetz sogenannte V-Leute. Das sind InformantInnen aus den jeweils überwachten Szenen, die tiefere Einblicke ermöglichen sollen. Bereits bisher durften InformantInnen bezahlt werden, doch jetzt dürfen sie auch Aufträge durch den Verfassungsschutz erhalten.

In Deutschland gibt es bereits sehr viel Erfahrung mit solchen V-Leuten, es lohnt also ein kurzer Blick über die Grenze. In der Bundesrepublik setzen das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz vor allem im Umgang mit der Neonazi-Szene seit Jahren auf V-Leute. Diese Arbeit war auch sehr erfolgreich—allerdings anders, als man erwarten würde.

So sagt der ehemalige NS-Kader und V-Mann Michael von Dolsperg: „Die halbe Führungsriege der Neonazi-Szene bestand aus Leuten im Staatsauftrag“ und bekennt: „Wir haben die Nazi-Szene aufgebaut. Und ich frage mich, ob es das wert war.“

Auch im aktuellen Prozess gegen das Nazi-Terror-Netzwerk NSU wird deutlich, wie der deutsche Verfassungsschutz die NS-Szene finanziert und den NSU gedeckt hat. Sogar Beate Zschäpe selbst, die derzeit in München als eine der Haupttäterinnen des NSU vor Gericht steht, hat mutmaßlich Kontakte zu Polizeistellen gehabt.

Kurz vor ihrer Verhaftung wurde ihr Handy laut Medienberichten insgesamt 18 Mal aus dem sächsischen Innenministerium sowie aus der Polizeidirektion Südwestsachsen angerufen.

Für Österreich fordert der Grazer Geheimdienst-Experte Siegfried Beer eine rasche Umsetzung des V-Leute-Systems. Seine Begründung: Bei den Staatsschützern handle es sich um fähige Leute. „Die nehmen sicherlich nicht den nächstbesten, der sagt, ‚ich kann Ihnen helfen“, so die Ansage. In Anbetracht der Erfahrungen aus Deutschland mag Beer zwar recht haben, dass der Staatsschutz sich seine Zuträger durchaus gut ansieht—ob das allerdings positiv zu bewerten ist, ist eine andere Frage.

Das neue Staatsschutzgesetz ist Teil einer umfassenden Aufrüstungsstrategie des Staates. Es sollen 2000 neue PolizistInnen kommen, es wird neues Gerät angeschafft und jüngst forderte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sogar eigene Gesetze für einen möglichen Ausnahmezustand.

„Der Verfassungsschutz kann mit diesem Gesetz unbeschränkt jeden überwachen und braucht dafür weder Richterin noch Staatsanwalt.“

Dass viele Menschen Angst vor Terror haben, ist nachvollziehbar und verständlich. Allerdings zeigen alle Erfahrungen mit TerroristInnen, dass diese immer Schlupflöcher finden. Sie greifen dann eben auf Einweg-Handys, verschlüsselte Kommunikation, Geheim-Wörter in scheinbar harmlosen Gesprächen oder einfach die persönliche Kommunikation zurück.

Jene Länder, die in der letzten Zeit Ziel von Angriffen wurde, also vor allem die USA und Frankreich, haben im Vergleich zu Österreich auch sehr „harte“ Anti-Terrorgesetze, die die Anschläge nicht verhindern konnten. Die massenhafte Überwachung hingegen wird vor allem jene treffen, die eben nicht damit rechnen, vom Staatsschutz überwacht zu werden. Tschohl warnt: „Der Verfassungsschutz kann mit diesem Gesetz unbeschränkt jeden überwachen und braucht dafür weder Richterin noch Staatsanwalt.“

Es ist mehr als auffallend, dass die neuen Gesetze so geschrieben sind, dass nun Überwachungsmaßnahmen eingeführt werden sollen, die breite Teile der Bevölkerung treffen können. Angelika Adensamer sagt: „Dieses Gesetz gibt dem Staat enorme Möglichkeiten—und wir dürfen davon ausgehen, dass diese dann auch angewandt werden.“ Das neue Staatsschutzgesetz ist derzeit in der Begutachtungsfrist. Es soll voraussichtlich Anfang Jänner 2016 in Kraft treten. Ob die Regierung ihren Entwurf durchbringen wird, wird allerdings auch von den Protesten, Einsprüchen und Stellungnahmen der kommenden Wochen abhängen.

 

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