Ist das neue Versammlungsrecht nur der erste Schritt?

[Fm4] Heute beschließt der Nationalrat ein verschärftes Versammlungsrecht. Die Tiroler Polizei hat es in ihrer Stellungnahme einen „Mini-Minimal-Kompromiss“ genannt. Sie wollte eigentlich weitere Verschärfungen, etwa die erlaubte Anzahl der TeilnehmerInnen bei Demonstrationen zu beschränken.

Erstveröffentlichung: FM4, 26.4.2017 Für Demonstrationen gelten künftig neue Regeln, der Nationalrat beschließt heute ein verschärftes Versammlungsrecht. Unter anderem wird es einen Mindestabstand zwischen rivalisierenden Kundgebungen geben, und Demonstrationen müssen 48 Stunden vor ihrem Stattfinden angemeldet sein. Ferner wird es erleichtert, Wahlkampfauftritte ausländischer Politiker zu untersagen.

Wenn ein neues Gesetz in Kraft tritt, werden von verschiedenen Seiten Stellungnahmen abgegeben – je brisanter, desto mehr solche Stellungnahmen werden verfasst. Zum neuen Versammlungsgesetz haben sich sogar alle neun Landespolizeidirektionen einzeln zu Wort gemeldet.

Doch während die meisten Polizeistellen den Entwurf von SPÖ und ÖVP vor allem zustimmend abnicken, hat die Tiroler Polizei in ihrer Stellungnahme an die Parlamentsdirektion einen regelrechten Forderungskatalog erstellt. Denn die aktuellen Verschärfungen sind für die Landespolizeidirektion Tirol nur ein „Mini-Minimal-Kompromiss“.

Wer demonstriert, will die Polizei bestimmen

Die Tiroler Polizei beklagt etwa, dass es bei Versammlungen „keinerlei Vorschreibungsmöglichkeiten von Personal als auch Sachaufwand“ gäbe. Die Lösung: es „sollte zumindest die Anzahl der Teilnehmer eingegrenzt werden können“. Im Klartext: Die Tiroler Polizei würde gerne vorschreiben können, wie viele Menschen an Demonstrationen teilnehmen können.

Wie das durchgesetzt werden soll, wird nicht beschrieben. Gibt es dann Zählkarten? Und was ist es mit jenen, die keinen Platz mehr auf der Demo gefunden haben? Dürfen die dann in der Nähe bleiben, oder müssen sie das gesamte Gebiet verlassen?

Einige andere Forderungen in der Stellungnahme der Tiroler Polizei geben allerdings Hinweise, wie diese Begrenzung umgesetzt werden könnte. So würde die Polizei gerne sowohl die Örtlichkeit wie die Routenführung bei Demonstrationen festlegen können.

Doch gerade der Ort und die Route einer Demonstration sind oft entscheidend für das Zeichen, das gesetzt werden soll. Es wäre ein wenig widersinnig, gegen einen Neonazi-Aufmarsch in der Innsbrucker Altstadt irgendwo in der Nähe der Bergisel-Skisprungschanze zu protestieren.

Durchsuchen und wegweisen

TeilnehmerInnen von Demos würde die Tiroler Polizei gerne bereits vorab durchsuchen. Einzelne DemonstrantInnen sollen von der Polizei sogar fortgeschickt werden können. Laut Polizei Tirol handelt es sich dabei um „gewaltbereite“ DemonstrantInnen. Wie das festgestellt werden soll, bleibt allerdings unklar. Die Tiroler Polizei spricht einerseits von „bereits bekannten gewaltbereiten Teilnehmern“, dann aber pauschal von Menschen, die gerne schwarze Kleidung tragen („Schwarzer Block“).

Interessant ist dabei der Verweis der Polizei auf den Paragraf 49a im Sicherheitspolizeigesetz. Denn dort sind die sehr weitgehenden Rechte der Polizei bei sportlichen Großveranstaltungen geregelt. Konkret geht es darum, dass die Polizei rund um Sportveranstaltungen – zumeist Fußballspiele – einen Sicherheitsbereich von 500 Metern festlegen kann. Aus diesem Bereich darf die Polizei Personen wegweisen. Das gilt etwa, wenn diese Personen in der Vergangenheit rund um Fußballspiele rechtlich auffällig geworden sind. Dass eine etwaige Strafe bereits verbüßt wurde: irrelevant.

Wieder einmal zeigt sich hier ein bekanntes Muster: Oftmals werden gesetzliche Verschärfungen zuerst an Fußballfans ausprobiert, bevor sie auch im politischen Bereich eingesetzt werden. Ein exemplarisches Beispiel dafür war der Mittelalter-Paragraf Landfriedensbruch. Der Paragraf war eigentlich bereits totes Recht.

Doch ab 2011 wurde er wieder verstärkt angewendet, betroffen waren zu Beginn hauptsächlich Fans von Rapid Wien. Nach der Demonstration gegen den Akademikerball der deutschnationalen Burschenschaften im Jänner 2014 wurde schließlich auch gegen Josef S. und weitere AntifaschistInnen wegen Landfriedensbruch ermittelt.

Versammlungsfreiheit in Teilen außer Kraft gesetzt

Fasst man all die einzelnen Forderungen der Tiroler Polizei zusammen, ergibt sich ein klares Bild: Die Polizei würde gerne künftig festlegen, wo bestimmte Kundgebungen stattfinden dürfen. Alle TeilnehmerInnen sollen vorab durchsucht werden können, womit ein Sperrkreis rund um die Kundgebung notwendig wäre.

Rund um Kundgebungen soll eine Sperrzone errichtet werden können, aus der die Polizei Personen wegweisen kann. Die Versammlungsfreiheit würde somit in weiten Teilen schlichtweg außer Kraft gesetzt.

Das wiederum erinnert an die Wünsche von ÖVP und einzelnen UnternehmerInnen, etwa dem Torten-HerstellerAida. Für Wien soll es nach diesen Unternehmer-Wünschen eigene Demozonen geben, etwa auf der Prater Hauptallee.

“Autoritäre Schlagseite“

Interessant ist, wer die Stellungnahme der Landespolizei Tirol unterzeichnet hat. Der stellvertretende Landespolizeidirektor Edelbert Kohler war zuvor Leiter des Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung – also der Tiroler Abteilung des Inlands-Geheimdienstes.

Wir haben die Tiroler Polizei um eine Stellungnahme ersucht. Doch sowohl die Landespolizeidirektion Tirol als auch der Autor des Forderungskatalogs, Hofrat Christian Schmalzl, wollten gegenüber FM4 keine Stellungnahme abgeben.

Zusammenfassend kann man sagen: Die Stellungnahme der Tiroler Polizei stellt einen Wunschkatalog dar. Woher der Wind weht, vermutet Angelika Adensamer vom „Netzwerk Kritische Rechtswissenschaften“: „Die Polizei agiert hier mit einer klaren autoritären Schlagseite.“ Sie sieht dabei eindeutige Ziele des Polizeiapparats: „Machtbefugnisse, Ressourcen, Personal und Finanzierung sollen ausgebaut werden.“

Adensamer meint auch, dass die politische Rolle der Polizei insgesamt mehr Beachtung finden sollte: „Die Polizei wird oft neutral gesehen. Doch tatsächlich ist sie ein Akteur mit eigenen Wünsche und Interessen.“

Und viele dieser Wünsche scheinen in die aktuellen Vorhaben der Regierung eingeflossen zu sein. Immerhin haben alle neun Landespolizeidirektion Stellungnahmen zum neuen Gesetzesentwurf abgegeben. Der Tenor ist durchgehend positiv. Das ist nicht verwunderlich, denn das neue Gesetz enthält eine ganze Reihe von drastischen Verschärfungen.

So wird die Anmeldefrist für Versammlungen von 24 auf 48 Stunden verdoppelt(die Polizei Tirol hätte sich sogar 72 Stunden gewünscht). Zwischen verschiedenen Kundgebungen wird Mindestabstand eingeführt. Das könnte dazu führen, dass mit gezielten Anmeldungen „unliebsame“ Kundgebungen drastisch erschwert werden.

Verbot wegen außenpolitischer Interessen

Und schließlich werden Demos unter Einbeziehung von Menschen ohne österreichische StaatsbürgerInnenschaft massiv erschwert. Sie können sogar untersagt werden, wenn „außenpolitische Interessen der Republik Österreich“ betroffen sind. (Der Entwurf kann hier nachgelesen werden.

Das Netzwerk Kritische Rechtswissenschaften hat sich in einer eigenen Stellungnahme ebenfalls mit dem Entwurf der Regierung auseinandergesetzt. Der Befund ist vernichtend. Aus Sicht des Netzwerks ist das neue Versammlungsrecht nicht mit der Verfassung vereinbar.

Abseits der geplanten Verschärfungen gehen die Behörden bereits seit einiger Zeit härter gegen Demonstrationen vor. Die Polizei lotet offenbar gerade die Grenzen des Versammlungsrechts aus. (Hier habe ich diese Entwicklung nachgezeichnet) Insbesondere sollen offenbar die AnmelderInnen von Demos künftig vermehrt haftbar gemacht werden.

Missbrauch

Das öffnet Missbrauch Tür und Tor. Nichts einfacher, als Provokateure einzuschleusen und danach die VersammlungsleiterInnen haftbar zu machen. Dass diese Befürchtungen nicht unbegründet sind, zeigt etwa der berüchtigte „Tierschützerprozess“. 16 Monate lang war damals eine Polizistin als angebliche Aktivistin unterwegs und hat dabei die TierrechtsaktivistInnen bespitzelt.

Teilweise geht die Polizei dabei weit über ihre Befugnisse hinaus. So sollten etwa in Linz bei einer Demonstration gegen Rechtsextremismus die Namen von 50 OrdnerInnen bekannt gegeben werden. Im Falle der Weigerung würde die Demonstration untersagt. Ich habe diesen Fall hier ausführlich beschrieben.

Als die AktivistInnen allerdings rechtlichen Beistand zuzogen, nahm die Polizei ihre Forderung zurück. Der Sprecher der Linzer Polizei erklärte im Nachhinein gegenüber FM4: “ Es wäre schön gewesen“.

Nur der erste Schritt?

Die Stellungnahmen zum Entwurf der Regierung wurden einige Wochen im Parlament bearbeitet. Geändert hat sich allerdings kaum etwas. Einzig beim Mindestabstand zwischen Kundgebungen gab es leichte Adaptierungen. Ansonsten soll das Gesetz in der ursprünglichen Form beschlossen werden.

Der Ablauf der Gesetzgebung zeigt eine klare Choreographie: Zuerst gab es über einige Monate konzertierte Stellungnahmen von ÖVP und Unternehmerverbänden, begleitet von entsprechenden Medienberichten (Stichwort angebliche „Spaßdemos“). Ein möglicher Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gab dann den Anlass für ein neues Gesetz.

Dieses Gesetz, das eine eindeutige Verschärfung darstellt, wird nun als Kompromiss bezeichnet. Und der Forderungskatalog der Polizei Tirol zeigt, dass damit noch lange nicht Schluss sein könnte.

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