Angeblich sind die Identitären bereits seit Monaten aus ihrer Zentrale in Graz ausgezogen, vermietet von FPÖ-Gemeinderat Sickl. Doch laut Vereinsregister und Impressum sind die Identitären weiter an der Adresse gemeldet.
Als im April 2019 bekannt wurde, dass Martin Sellner, Chef der neofaschistischen Gruppe „Identitäre Bewegung“ (IB), in der Vergangenheit Hakenkreuze auf eine Synagoge geklebt hatte, ging die FPÖ vorgeblich auf Distanz. Besonders im Fokus der Debatten standen dabei die beiden öffentlichen Zentren der Gruppe in Graz und Linz. Kein Wunder, denn in beiden Fällen gibt es enge Verbindungen zur FPÖ.
In Linz war die Gruppe im Keller der Villa Hagen eingemietet, einem Burschenschafter-Haus im Stadtteil Urfahr. Die Villa ist unter anderem Sitz der einschlägig bekannten Burschenschaft Arminia Czernowitz – und die darf als zentrales Rekrutierungsbecken für die Linzer FPÖ gelten.
FPÖ-Nähe in Linz und Graz
Arminen sind unter anderem der Linzer Ex-FPÖ-Vizebürgermeister Detlef Wimmer, sein Nachfolger Markus Hein sowie der Linzer FPÖ-Sicherheitsstadtrat Michael Raml. (Die FPÖ regiert in Linz in einer Koalition mit der Sozialdemokratie und besetzt wichtige Funktionen in der Stadtregierung.) Die Linzer FPÖ ruderte schließlich unter öffentlichen Druck zurück, am 8. April gab Hein bekannt, dass das Mietverhältnis mit den Identitären gekündigt worden sei.
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Und auch in Graz wurden die engen Verbindungen zwischen der FPÖ und der neofaschistischen Gruppe in der breiten Öffentlichkeit diskutiert. Denn der Vermieter des Zentrums in der steirischen Landeshauptstadt war oder ist niemand anderer als FPÖ-Gemeinderat Heinrich Sickl.
Angeblich gekündigt …
Und genau die Frage, ob Sickl Vermieter des Zentrums in der Grazer Schönaugasse 102a war – oder ob es bis heute eine rechtliche Verbindung gibt – stellt nun ein Fragezeichen dar. Denn als der Druck der Öffentlichkeit zu groß wurde, erklärte Sickl zwar Ende April auf Anfrage des Standard, dass der Mietvertrag „in gegenseitigem Einvernehmen aufgelöst worden“ sei.
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Doch scheinbar ist diese Information bei den neofaschistischen MieterInnen nicht angekommen. Denn auf der Homepage der Identitären wird als Impressum bis heute die Adresse Schönaugasse 102a in 8010 Graz angegeben.
… aber die Identitären wissen das offenbar nicht.
Der Trägerverein für die Homepage, ein „Verein zur Erhaltung und Förderung der kulturellen Identität“, hat seinen Sitz ebenfalls weiter in der Schönaugasse 102a. Das belegt ein Auszug aus dem Vereinsregister, den ich zuletzt am 17.09.2019 abgerufen habe. Obmann des Vereins ist Martin Sellner, übrigens ebenfalls Burschenschafter. Laut Homepage der IB soll das zweite Vorstandsmitglied Philipp Huemer sein, gemeinsam mit Sellner Co-Sprecher des österreichischen Ablegers der Gruppe.
Damit nicht genug, hat noch ein weiterer Verein seinen Sitz bis heute in der Schönaugasse, der den Identitären zuzurechnen ist: Der „Verein für nachhaltige Völkerverständigung und Jugendarbeit“. Auch hier belegt das ein aktueller Auszug aus dem Vereinsregister.
Der Herr Major
Auf Facebook gibt es ebenfalls weiter eine Seite für das Grazer Zentrum, das von der IB „Major Hackher-Zentrum“ genannt wird. Die Facebook-Seite wurde zwar seit 25. April nicht mehr aktualisiert, ist aber weiterhin abrufbar.
Die hochrangige FPÖ-Politikerin Ursula Stenzel spricht auf der Abschlusskundgebung der neofaschistischen Gruppe Identitäre in Wien. Sie ist für die FPÖ nicht-amtsführende Stadträtin in Wien. Soviel zum tatsächlichen Verhältnis der FPÖ zu den NeofaschistInnen.#blockit #noib pic.twitter.com/kN4gcqIO9o
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) September 7, 2019
Damit ist also die Adresse Schönaugasse 102a laut Identitären bis heute ihr offizieller Sitz. Wenn Behörden Briefe an Vereine schicken, werden sie üblicherweise an jene Adresse geschickt, die im Vereinsregister als offizieller Sitz ausgewiesen ist. Gerade für einen Verein, der im Fokus der Öffentlichkeit steht, ist die korrekte Angabe der eigenen Adresse somit enorm relevant.
Wohin geht die Post?
Sonst könnten beispielsweise Einsprüche gegen behördliche Entscheidungen nicht möglich sein, weil Fristen versäumt wurden. Es steht also die Frage im Raum, ob es an der Adresse des FPÖ-Gemeinderats bis heute mindestens ein Postfach oder ähnliches gibt, wo Vertreter der neofaschistischen Gruppe ihre Post abholen können.
Zusätzlich pikant ist, dass Sickl die Räumlichkeiten in der Schönaugasse 102a nicht nur fremdvermietet: Denn genau an dieser Adresse ist auch der Sitz von Sickls eigener Firma, eines Fitness-Unternehmens. Auf der Homepage der Firma ist die Schönaugasse 102a sowohl als Firmensitz wie als Kontaktadresse für Sickl angegeben.
Das sagt die FPÖ
Ich habe auch Heinrich Sickl und die FPÖ Graz um eine Stellungnahme ersucht. Ich habe darin unter anderem gefragt, ob es weiter ein Mietverhältnis zwischen Sickl und den Identitären, vorgelagerten Vereinen oder Personen gäbe, die der Gruppe zuordenbar wären. Falls Sickl sagt, dass der Mietvertrag gelöst wurde, wollte ich wissen, wann und mit welchem Fristen.
Ebenfalls gefragt habe ich, ob es eine Postadresse der Gruppe in der Schönaugasse 102a gäbe und/oder wie Post von dieser Adresse an die Identitären kommen würde. Ebenfalls wissen wollte ich, ob Sickl Geschäftsräume an dieser Adresse hat – denn das würde bedeuten, dass er dort mutmaßlich des Öfteren aus und ein geht. Und schließlich habe ich Sickl und die FPÖ Graz um ein Statement zum Umstand gefragt, dass die Identitären die Schönaugasse 102a weiter als Impressum und Sitz ihrer Vereine angibt.
Ziemlich dünn
In einer Stellungnahme erklärt die FPÖ Graz, dass das Mietverhältnis „mit Ende Juni beendet“ worden sei und es „kein Postfach“ geben würde. Wie die Vereine dann an ihre Post kommen solle ich „die jeweiligen Vereine fragen“, so Jasmin Hans vom Gemeinderatsklub der FPÖ Graz in einer schriftlichen Stellungnahme.
Bezüglich der Schönaugasse 102a im Impressum auf der Homepage der Identitären „danken wir Ihnen für den Hinweis“, so die FPÖ Graz. Von Heinrich Sickl kam bis dato keine Stellungnahme.
Die Antwort der FPÖ ist auffallend kurz und ziemlich dünn. Offen bleibt etwa, ob es mögliche weitere Mietverhältnisse zu Personen im Milieu der Gruppe gibt und ob es mögliche informelle Absprachen, etwa zum Postversand, gibt. Auch eine Antwort auf die Frage, warum mindestens zwei Vereine der Identitären die Adresse weiterhin als offizielle Anschrift nützen, gibt es nicht.
Das Mietverhältnis ist kein Zufall
Dass gerade der Grazer FPÖ-Gemeinderat Heinrich Sickl bei solchen Fragen immer wieder im Zentrum steht, sollte allerdings nicht verwundern. Der Burschenschafter – Mitglied der Arminia Graz – gilt seit Langem als wichtiger Querverbinder zwischen der FPÖ und den Identitären. Sickl war sogar bereits Ordner bei Aufmärschen der Identitären im steirischen Spielfeld und soll auch auf einer Spendenliste der Gruppe aufscheinen, die im Frühjahr bekannt wurde.
Auch ideologisch versucht Sickl offenbar, die Positionen der Identitären in der FPÖ bekannt zu machen. Neben seiner Tätigkeit als Gemeinderat der FPÖ in Graz ist Sickl auch Obmann des – burschenschaftlich dominierten – Freiheitlichen Akademikerverbands in der Steiermark (FAV).
Gestern hat mich #ServusTV eingeladen, um bei "#TalkimHangar7" zu diskutieren. Später habe ich erfahren, dass mein Gegenüber der bekannte rechte Kader Götz Kubitschek gewesen wäre. Ich habe abgelehnt – es gibt weder Grund noch Veranlassung, mit FaschistInnen zu diskutieren. 1/ pic.twitter.com/H6ftuQRLZB
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) April 3, 2019
Dieser FAV veranstaltete im November 2018 bereits zum dritten Mal eine gemeinsame Herbstakademie mit dem „Institut für Staatspolitik“ (IfS). Und das IfS – geleitet vom notorisch auffälligen Götz Kubitschek – ist nichts anderes als das ideologische Zentrum der deutschsprachigen Identitären im sächsischen Schnellroda.
Die Wege sind also kurz von FPÖ-Gemeinderat Sickl zu den Kernstrukturen der neofaschistischen Identitären.
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