Ein sehr persönlicher Rückblick – 30 Jahre nach dem Ende der Apartheid.
Als ich 14 war, hatte ich einen Freund, ich weiß seinen Namen nicht mehr – wie das oft so ist bei Teenagerfreundschaften. Wir lachten, wir lernten, wir prügelten uns um die selbe Frau – was im übrigen taktisch unklug war, er war damals zwei Köpfe größer als ich (gekriegt haben wir sie trotzdem beide nicht). Vor allem über Politik aber stritten wir bis aufs Blut.
Er war Südafrikaner, er war weiß und er war ein überzeugter Verfechter der Apartheid. Ich war entsetzt und empört. Mein erstes politisches Referat hielt ich in unserer Schulklasse, um gegen die Apartheid aufzutreten. Für mich waren diese Debatten enorm politisierend. Bald zog ich auch selbst erste Konsequenzen.
Der Boykott von Obst aus Südafrika war damals ein wichiges politisches Thema. Auch für mich wurde er selbstverständlich – auch wenn mir der Verzicht auf die geliebten Granny Smith Äpfel sehr schwer fiel. Das faschistische Chile war in der Öffentlichkeit leider kein Thema, doch schon bald kamen auch keine Packhams Birnen mehr ins Elternhaus.
Ein Jahr später – es wird wohl mein erstes politisches Festival überhaupt gewesen sein – war ich auf einem Südafrika-Solidaritätskonzert der Sozialistischen Jugend Favoriten. Irgendwo auf einer Wiese im zehnten „Hieb“, wie die Wiener ArbeiterInnenbezirke genannt werden. Diese damals sehr starke SJ-Bezirksorganisation mit mehreren lokalen Gruppen war linksoppositionell geprägt, trotzkistische Strukturen hatten einen wichtigen Einfluss. Sie berichteten mir auch von ihren GenossInnen der „Marxist Workers Tendendy“ im ANC.
Dort kaufte ich dann auch meine erste politische Ausrüstung: Einen Button, ein T-Shirt mit der Bitte um Solidarität für den südafrikanischen Gewerkschaftsdachverband COSATU und eine Tasche mit der Aufschrift „Unterstützt die Frontstaaten! Boykottiert Südafrika!“ Gemeint waren mit den Frontstaaten vor allem die linken Regierungen in Angola und Mocambique, die den Kampf gegen die Apartheid unterstützten und selbst militärisch von Südafrika bekämpft wurden.
Der Kampf gegen die Apartheid wird international – und entpolitisiert
Immer stärker wurde auch die Öffentlichkeit auf das Leiden der schwarzen Bevökerungsmehrheit in Südafrika aufmerksam. Ein wichtiger Höhepunkt war im Jahr 1988 das Free-Nelson-Mandela Konzert im Wembley Stadion. Per TV verfolgten rund 600 Millionen Menschen das Event.
Der große Harry Belafonte moderierte und präsentierte dann einen der stärksten Momente das Tages: Ich erinnere mich bis heute an die Schauer, als die Eurythmics – bekannt für „Sweet Dreams“ – ihr „We want Freedom in South Africa“ anstimmten und das Publikum mit erhobener Faust die Losung übernahm:
Auch andere Lieder prägten diese Zeit, allen voran das wunderbare „Free Nelson Mandela“ der „Specials“. Deren Bandleader Jerry Dammers hatte auch die Initiative für das Konzert im Wembley Stadion übernommen.
Diese breite Öffentlichkeit hatte einerseits sehr positive Aspekte: Immer mehr Konzerne gerieten unter Druck und mussten sich teils als Reaktion auf Proteste aus dem Apartheid-Südafrika zurückziehen. Darunter die Deutsche Bank, Daimler oder GM. Dadurch bekam das Regime zusehends wirtschaftliche Probleme. Andererseits aber wurde der Protest dadurch auch entpolitisiert.
Es ging nun um Freiheit für den „Menschenrechtler“ Nelson Mandela. Die Profiteure und internationalen Unterstützer der Apartheid wurden ebenso ausgeblendet wie der reale politische Hintergrund der AktivistInnen gegen die Apartheid.
Kein Wort mehr davon, dass es auch in Europa begeisterte Unterstützung für die Apartheid gab. So produzierten etwa Mitglieder der Young Conservatives, der Jugendorganisation von Maggie Thatchers konservativer Tory-Partei, Abzeichen und Plakate mit der Losung „Hängt Nelson Mandela!“.
So erklärte Bayerns CSU-Ministerpräsident Franz Josef Strauß: „Die Politik der Apartheid beruht auf einem positiven religiösen Verantwortungsbewußtsein für die Entwicklung der nichtweißen Bevölkerungsschichten.“ Und so wurde Südafrika vom Westen als verlässlicher Verbündeter im Kampf gegen ein rotes Bollwerk an der Südspitze Afrikas geschätzt.
Der Hintergrund ist heute wenig bekannt: Der Afrikanische Nationalkongress (ANC) als wichtigste Organisation der schwarzen SüdafrikanerInnen ist seit Jahrzehnten in der „Tripartite Alliance“ mit der Südafrikanischen Kommunistischen Partei (SACP) und dem Gewerkschaftsbund COSATU verbündet.
Ein Guerilla-Offizier als Zeuge für gewaltfreien Widerstand?
Ebenfalls auffällig ist, dass Mandelas politischer Hintergrund zunehmend ausgeblendet wurde und wird. So schrieb etwa das Boulevard-Blatt „Österreich“ in seinem Nachruf zum Tod von Nelson Mandela am 06.12.2013 vom Vorkämpfer des „gewaltfreien Widerstands“. Was für ein Unsinn!
Mandela war ein Führer der Guerilla-Organisation „Umkhonto we Sizwe“ oder MK, auf Deutsch: Speer der Nation. Der MK war vom ANC und der Kommunistischen Partei für den bewaffneten Kampf gegen das Regime gebildet worden.
Mandela singt gemeinsam mit Mitgliedern des MK und der SACP die Hymne des MK. Bitte ignoriert die offensichtlich rechten Kommentare bzw. Einblendungen. Auch die Übersetzung ist problematisch. Ama-Bhulu steht für die holländisch-burische Oberschicht, nicht allgemein für Weiße.
Als MK-Offizier wurde Mandela vom Apartheid-Regime verfolgt und verhaftet. Mandela bezahlte einen hohen Preis: Er blieb für 27 Jahre inhaftiert, davon 18 auf der berüchtigten Gefängnisinsel Robben Island. Er blieb in dieser Zeit standhaft und ließ sich nicht vom Regime kaufen.
Die Apartheid fällt
Es ist sicher kein Zufall, dass die Apartheid schrittweise ab 1990 fiel, also nach dem Zusammenbruch des Stalinismus. Erst dann war für die westlichen Eliten ein „schwarzes“ Südafrika akzeptabel – weil es eben mangels internationaler Verbündeter unwahrscheinlich war, dass es ein „rotes“ Südafrika werden würde.
Für die jungen AktivistInnen der SJ Favoriten ruhten die Hoffnungen weiter auf ihren trotzkistischen GenossInnen der linksoppositionellen „Marxist Workers Tendency“ innerhalb des ANC. Mit der Zeitung Inquaba ya Basebenzi versuchten diese KämpferInnen, den ANC und die SACP nach links zu drücken. Vergeblich: ANC und SACP genossen durch ihren aufopferungsvollen Kampf gegen die Apartheid enormen Rückhalt in der Bevölkerung. Kritische Fragen und alternative Vorschläge wurden nicht gern gehört.
Stattdessen blieb Südafrika stabil auf kapitalistischer Grundlage – und für die meisten weißen KapitalistInnen und LandbesitzerInnen veränderte sich real nur wenig. Die sogenannten Wahrheitskommissionen, wo die ehemaligen Folterknechte und Mörder des Regimes aussagten und dafür straffrei davon kamen, waren eine unglaubliche Enttäuschung für viele in Südafrika und international. Mandela hat hier mit seinem Einfluss eine wichtige Rolle gespielt.
Als ehemaliger Guerilla-Offizier, als wichtigster politischer Gefangener und auch – was hierzulande kaum bekannt ist -, als hoher Adliger der Xhosa Volksgruppe (die das Rückgrat des ANC bildete) hatte er die Autorität, die schwarze Bevölkerungsmehrheit mit dieser Entwicklung auszusöhnen.
Südafrika heute
Die zentralen sozialen Fragen wurden nicht gelöst. Das Leben in den Townships, etwa im berühmten SOWETO (South West Township) in der Nähe von Johannesburg, ist immer noch elend. Die ehemaligen VeteranInnen des MK haben keine ausreichende Entschädigung erhalten.
Die Bosse sind immer noch reich und die ArbeiterInnen haben immer noch unzumutbare Bedingungen. Gleichzeitig sind aber auch schwarze Mittelschichten entstanden, oft gebildet aus ehemaligen Kadern des ANC, die völlig korrumpiert sind. Persönlich vielleicht nachvollziehbar nach einem Leben im Untergrund voller Entbehrungen, doch nichtsdestrotrotz inakzeptabel.
Auch die SACP, bis heute Teil der Regierung und mit ANC und COSATU in der Tripartite Allianz verbunden, spielt keine progressive Rolle – im Gegenteil, sie hält soziale Proteste zurück und bildet die linke Absicherung der ANC-Regierung.
Widerstand von Links
Doch in jüngster Zeit bleibt diese Politik nicht mehr unwidersprochen. Zahlreiche Gewerkschaften haben sich inzwischen vom COSATU abgespalten, vor allem die mächtige MetallarbeiterInnengewerkschaft NUMSA, die größte Einzelgewerkschaft des Landes. Im November 2019 hat die NUMSA mit ihren über 300.000 Mitgliedern nach längeren Debatten eine neue Partei registriert, die „Sozialistische Revolutionäre Arbeiterpartei“.
Daneben spielen auch die „Economic Freedom Fighters“ weiter eine gewisse Rolle. Gebildet rund um den ehemaligen ANC-Jugendvorsitzenden Julius Malema haben sie es geschafft, einen neuen Block zu organisieren, der auch im Parlament vertreten ist. Die EFF haben eine sehr sozialradikale Rhetorik, doch Malema selbst dürfte die Partei mehr oder weniger diktatorisch regieren. Auch Korruptionsvorwürfe gegen ihn wurden bereits laut.
Schließlich versuchen auch trotzkistische Kräfte weiter den Aufbau, in den letzten Jahren etwa mit der Workers and Socialist Party (WASP), gegründet von AktivistInnen der Marxist Workers Tendency aus der Zeit der Apartheid. Über eine gewisse Zeit dürfte es die WASP geschafft haben, sich in den Bergbaugebieten zu verankern. Eine Initialzündung war sicher das Massaker von Marikana, wo die ANC-geführte Polizei im August 2012 mindestens 34 streikende Arbeiter ermordet hat. Mehr etwa hier. Doch die WASP hat den Durchbruch wohl nicht geschafft, in letzter Zeit kommen keine Neuigkeiten mehr.
Die Fragen allerdings, die diese oppositionellen Kräfte stellen, sind weiter präsent: Wie kann die tatsächliche Befreiung der südafrikanischen schwarzen Bevölkerung von rassistischer Unterdrückung vollendet werden? Wie kann das Ende der rassistischen Apartheid auch zu einem Ende der wirtschaftlichen Apartheid führen?
Der Nelson Mandela, zu dem ich aufblickte, verließ bereits 1990 die Bühne der Weltpolitik. Doch er und viele andere KämpferInnen aus der Zeit der Apartheid waren für mich Vorbilder der Standhaftigkeit und Entschlossenheit im Kampf gegen ein dikatorisches Regime. Und an ihre damaligen Ziele möchte ich mich heute gern mit euch erinnern.
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