[jw] Die Situation von Geflüchteten in Griechenland verschlimmert sich zunehmend. Hilfe nur durch Freiwillige. Interview für die „junge welt“mit Jannis Papadopoulos von der Antirassistischen Initiative in Thessaloniki.
[Erstveröffentlichung: junge welt]
Wie ist die Lage für Flüchtlinge in Griechenland?
Die Situation ist beschissener denn je. Nach dem EU-Türkei-Deal werden die Menschen in Gefängnisse und Camps geworfen und dann in die Türkei abgeschoben. Die Lage in den Camps ist menschenunwürdig. Es wurden einfach Zelte ohne Unterboden auf Äcker gestellt, beim ersten Regen versinken sie im Schlamm. Am Abend hat es oft nicht mehr als fünf Grad, es gibt aber keine Heizungen.
Wir haben Camps, wo es für 3.000 Menschen gerade einmal zehn Toiletten gibt. In Idomeni an der Grenze zu Mazedonien halten sich aktuell 10.000 bis 12.000 Menschen auf und wissen nicht, wohin sie gehen sollen. Die Menschen haben Hunger, viele müssen in der Kälte unter freiem Himmel schlafen.
Wer übernimmt die Versorgung der Menschen?
Der Großteil der Unterstützung erfolgt durch die sozialen Bewegungen. In Idomeni etwa organisieren die »No Border Kitchen« und lokale Gruppen bis zu 12.500 Mahlzeiten am Tag. Wir organisieren auch medizinische Versorgung, vor allem gemeinsam mit der solidarischen Klinik aus Thessaloniki. Wir werden dabei aber von Polizei und auch das UNHCR behindert. Die Polizei bedroht die »No Border Kitchen«, die UNO-Leute sind ahnungslos und überheblich. Sehr wichtig für uns ist die internationale Unterstützung. Vor kurzem sind beispielsweise 200 Leute aus Italien angekommen, die viel Material für den Bau großer Zelte mitgebracht haben. Diese internationalen Brigaden sind eine große Hilfe.
In Griechenland regiert mit Syriza eine linke Partei. Wie macht sich das bemerkbar?
Syriza macht genau dort weiter, wo die vorherige rechte Regierung ihre Arbeit beendet hat. Syriza führt die neoliberale Austeritätspolitik, also die Spar- und Kürzungsprogramme, fort und verwaltet die Armut, obwohl es doch ihre Aufgabe wäre, sie zu bekämpfen. Die Regierung unterstützt den Deal der EU mit der Türkei und führt selbst Abschiebungen durch. Anstatt die Landgrenze zur Türkei zu öffnen, wird dort für Millionen Euro ein Grenzwall errichtet. Damit ist Syriza mitverantwortlich dafür, dass fortwährend Menschen im Mittelmeer ertrinken. Es gibt leider auch genügend Beweise, dass die griechische Küstenwache Boote mit Flüchtlingen versenkt. Teilweise gibt es sogar Videos. Die Regierung tut nichts dagegen.
Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung?
Die große Mehrheit der Bevölkerung steht hinter der Hilfe für die Flüchtlinge. Die Stimmung bei den meisten ist: Wir überlassen diese Leute nicht ihrem Schicksal. Solange es irgendwie geht, werden wir helfen. Idomeni etwa liegt in einer sehr armen, ländlichen Gegend. Dennoch sind viele Menschen solidarisch, kochen oder stellen Waschgelegenheiten zur Verfügung. Die Leute sehen die Hilfe für Flüchtlinge auch als einen Akt des Widerstands gegen die Austeritätspolitik. Wir sehen dabei oft, dass diejenigen am meisten geben, die selbst am wenigsten haben.
Können die Neofaschisten von der aktuellen Lage profitieren?
Die Faschisten der »Goldenen Morgendämmerung« versuchen es mit islamfeindlicher Hetze, können damit aber keine Zugewinne erreichen, so dass der Zuspruch zu ihnen gegenwärtig stagniert. Natürlich gibt es immer wieder Probleme, etwa mit Mafiagruppen, die Unterkünfte von Flüchtlingen niederbrennen. Es gibt aber auch absurde Situationen. In Thessaloniki hat eine Genossin von uns für Flüchtlinge gesammelt. Die meisten in der Nachbarschaft haben etwas gegeben. Nach ein paar Tagen kam sogar der lokale Vorsitzende der »Morgendämmerung« [Anm. eine faschistische Partei] und gab ein paar Säcke mit Spenden ab.
Wie bewerten Sie die Politik von Deutschland und Österreich?
Ob Merkel die gute Tante spielt oder nicht, ist egal. Entscheidend ist, wie sie politisch handelt. Und es ist eindeutig, dass derzeit die Grenzen dichtgemacht werden. Entscheidend wird sicherlich sein, wie die politischen Aktivisten in Deutschland und Österreich handeln. Ein paar Decken und Croissants verteilen wird nicht reichen. Es geht darum, zu kämpfen und den ganzen neoliberalen Mist zu beseitigen. Wir müssen gemeinsam und global über Kapitalismus und Imperialismus diskutieren und darüber, was wir gegen dieses System tun können.
Eine ausführliche Version des Interviews findet ihr hier.
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