Erstveröffentlichung: VICE, 22.12.2016
Üblicherweise bedeutet Atheismus die Ablehnung von Religion. Das steckt ja auch schon im Wort—es stammt vom altgriechischen átheos, übersetzt „ohne Gott“. Die „Atheistische Religionsgesellschaft in Österreich“ will jetzt einen anderen Weg gehen und selbst eine Religionsgemeinschaft werden, inklusive Seelsorge, Institut an der Universität und sogar Religionsunterricht.
In Österreich gibt es derzeit 16 anerkannte Religionsgemeinschaften. Dazu gehören beispielsweise die katholische Kirche, die evangelische Kirche, die islamische Glaubensgemeinschaft oder die israelitische Religionsgesellschaft. Aber auch die Zeugen Jehovas, die Mormonen und die alevitische Glaubensgemeinschaft sind als Religionen anerkannt. Nach den Wünschen der ARG, wie sich die Atheistische Religionsgesellschaft abkürzt, könnte bald eine 17. Religion dazu kommen.
Dass das auf den ersten Blick etwas ungewöhnlich klingt, ist für Nikolaus Bösch völlig klar. Er ist Mitglied des Präsidiums der ARG. Der 31-Jährige lebt mit seiner Partnerin und seiner zweieinhalbjährigen Tochter in einem kleinen Dorf in der Steiermark. „In erster Linie geht es uns natürlich darum, über diesen Weg für AtheistInnen die gleichen Möglichkeiten und Rechte wie die derzeitigen Religionsgemeinschaften zu bekommen“, sagt er.
„Ein Tag der Religionsfreiheit als zusätzlicher Feiertag wäre eigentlich mal eine ganz angenehme Alternative.“
Und diese Möglichkeiten und Privilegien sind eigentlich sehr umfassend: Religionsunterricht für die Kinder, staatlich bezahlte ReligionslehrerInnen, theologische Institute an der Universität, steuerliche Begünstigungen oder auch die Seelsorge in Gefängnissen, in Spitälern und beim Militär. Bösch hat selbst den Präsenzdienst abgeleistet. „Ich hätte in dieser Zeit sehr gerne hin und wieder jemand gehabt, mit dem ich sprechen kann“, meint er. „Doch als Atheist gab es für mich einfach kein Angebot.“
Unser gesamtes Leben ist stark religiös geprägt—oft ohne dass wir es bewusst bemerken. Gerade rund um Weihnachten wird sichtbar, wie stark das Christentum in unserer Gesellschaft verankert ist. Bösch wirft allerdings ein: „Der 8. Dezember, also Mariä Empfängnis, zeigt eigentlich sehr gut, wem Weihnachten wirklich gehört, nämlich dem Konsum. Früher war das ein Feiertag für alle, jetzt müssen Handelsangestellte an diesem Tag arbeiten. Die Ruhe der Arbeitenden gilt dann auf einmal nichts im Verhältnis zum Umsatz der Unternehmen.“
Das Beispiel der Feiertage zeigt die enge Verflechtung von Kirche und Staat generell sehr gut: Bis auf den 1. Mai, also den traditionellen Feiertag der ArbeiterInnenbewegung, den Nationalfeiertag am 26. Oktober und den freien 1. Jänner gibt es in Österreich ausschließlich religiös geprägte Feiertage. „Ein Tag der Religionsfreiheit als zusätzlicher Feiertag wäre eigentlich mal eine ganz angenehme Alternative“, meint Bösch dazu.
Auch die zahlreichen katholischen Symbole im öffentlichen Raum, also etwa die Kreuze in Schulen und Gerichten, sind ihm ein Dorn im Auge. „Natürlich könnten wir darauf bestehen, dass dann alle religiösen Symbole nebeneinander hängen, also auch ein atheistisches. Einfacher wäre es aber, wenn wir einfach ganz darauf verzichten und Religion und Staat voneinander trennen.“
„Ich habe nichts Schlimmes erlebt, ich habe mich in der Kirche schlicht gelangweilt.“
Nachdem seine Tochter bereits in den Kindergarten geht, fällt ihm auch die religiöse Erziehung in den öffentlichen Kindergärten auf: „Wenn dort mit den Kindern mit der gleichen Selbstverständlichkeit atheistische, muslimische oder jüdische Lieder gesungen würden, wie das jetzt mit den christlichen passiert, gäbe es vermutlich einen Aufschrei. Das Land ist aber eben nicht zu 100 Prozent katholisch. In den Kindergärten müsste diese Vielfalt auch dargestellt werden.“
Bösch selbst war sich seiner atheistischen Überzeugungen bereits sehr früh bewusst, wie er erzählt: „Wie die meisten bin ich mit der Taufe einfach ins Christentum reingerutscht. Als Kind habe ich versucht, zu glauben. Mit 14 war mir aber schon klar, das ist nichts für mich.“ Persönlich negative Erfahrungen hat er keine gemacht. „Ich habe nichts Schlimmes erlebt, ich habe mich in der Kirche schlicht gelangweilt. Aber die politische Wirkung der Kirche, etwa das Eintreten gegen Kondome, war mir zutiefst zuwider.“ Am 18. Geburtstag ist er dann aus der Kirche ausgetreten.
„Ich wollte das bewusst sehr symbolisch machen und habe deshalb auf diesen Tag gewartet.“ Obwohl er im konservativen Vorarlberg aufgewachsen ist, hat seine Umgebung recht locker reagiert: „Sorge habe ich mir nur wegen meiner Großmutter gemacht, die war aber erfreulich gleichgültig.“
Und wie soll das mit der Religionsgemeinschaft klappen? Der erste Schritt wäre die Anerkennung als sogenannte religiöse Bekenntnisgemeinschaft. Dazu braucht es mindestens 300 Personen mit Wohnsitz in Österreich. Derzeit gibt es 8 solche Bekenntnisgemeinschaften, darunter etwa die islamisch-schiitische Glaubensgemeinschaft, die hinduistische Religionsgesellschaft, aber auch die Vereinigungskirche, auch bekannt als „Mun Sekte„.
Nach fünf Jahren als anerkannte Bekenntnisgemeinschaft kann dann die Anerkennung als Religionsgemeinschaft erfolgen. Dazu müssen sich 0,2 Prozent der Bevölkerung zu dieser Religionsgemeinschaft bekennen. Nach derzeitigem Stand wären das in Österreich rund 16.000 Menschen. „Die 300 Personen für die Bekenntnisgemeinschaft hatten wir bereits zusammen. Es Ist aber in Wirklichkeit komplett unklar, was es braucht, damit die Mitglieder dann auch anerkannt werden. Wir fangen daher gerade nochmals von vorne an und lassen alles eidesstattlich absichern“, so Bösch. Er geht nicht davon aus, dass der Weg einfach wird.
„Unser Ziel ist natürlich die Anerkennung beim ersten Mal. Es kann aber auch gut sein, dass wir bis zum Verwaltungsgerichtshof, zum Verfassungsgerichtshof oder zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gehen müssen“, so Bösch. Einen Hebel sieht die ARG dabei in einer Richtlinie des Rates der Europäischen Union aus dem Jahr 2004. Dort heißt es: „Der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen“. Wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dieser Logik folgt, müsste die Atheistische Religionsgesellschaft also tatsächlich als Religion anerkannt werden.
„Wir gehen davon aus, dass Menschen sich die Welt erklären wollten und dazu Religionen erschaffen haben. Wir wollen natürlich vermitteln, welche Religionen es gibt und wie sie entstanden sind.“
Und was würde das denn bedeuten? „Wir hätten dann die gleichen Möglichkeiten wie alle anderen anerkannten Religionsgemeinschaften, also beispielsweise Seelsorge und Religionsunterricht“, so Bösch. Besonders der Religionsunterricht ist der ARG ein Anliegen, sagt er: „Wir arbeiten bereits an Konzepten. Wir wollen dabei vor allem die Kritikfähigkeit von Kindern stärken. Es gibt ja auch sehr gute Modelle zur Vermittlung von Philosophie für Kinder. Wir wollen, dass Kinder sich in der Welt zurecht finden und den Unterschied zwischen belegten Argumenten und aus der Luft gegriffenen Behauptungen verstehen. Die Autorität des Arguments muss immer stärker sein als die Autorität der Quelle.“
Religion soll dabei aber keineswegs zu kurz kommen: „Wir gehen davon aus, dass Menschen sich die Welt erklären wollten und dazu Religionen erschaffen haben. Wir wollen natürlich vermitteln, welche Religionen es gibt und wie sie entstanden sind.“ Lieber wäre ihm aber eigentlich, wenn es einen Ethikunterricht für alle gäbe und der konfessionelle Religionsunterricht überhaupt aus den Schulen entfernt würde: „Doch bis wir das erreicht haben, wäre ein atheistischer Religionsunterricht eine gute Alternative“.
Aber ist es nicht inkonsequent, gegen Religionen zu sein und dann selbst eine sein zu wollen? Bösch meint, dass man eine Weltanschauung auch haben kann, ohne unkritisch zu sein: „Unser Kernanspruch ist, die Menschen nicht an Religionen zu binden sondern ihre Kritikfähigkeit zu steigern.“ Dennoch ist ja eigentlich die zentrale Idee des Atheismus die Wissenschaftlichkeit, was der Idee der Religion widersprechen würde. Die Antworten der ARG auf die Frage einer atheistischen Religionsgesellschaft klingen da noch nicht gänzlich schlüssig.
Aktuell wird ja auch sehr viel über die Frage der Gefährlichkeit von Religionen gesprochen. Insbesondere der Islam ist aktuell im Fokus, aber auch die Kriminalgeschichte des Christentums mit Kolonialisierung, Hexenverbrennung oder Mitverantwortung am Holocaust ist keineswegs vergessen. „Es stimmt, religiöse Überzeugungen sind sehr wirkmächtig und alle großen Religionen waren bereits Motiv oder Ausrede für Verbrechen. Wir sollten uns eben immer klar sein, dass kein heiliges Buch wichtiger ist als die eigene Verantwortung.“
„Meine Partnerin und ich denken beide sehr politisch und sind überzeugte Atheisten. Doch warum sollen wir einem Kind etwas wegnehmen, was wunderschön ist?“
Bleibt die Frage, wie bei überzeugten AtheistInnen Weihnachten gefeiert wird. „Wir kommen mit der Familie und den Nachbarn zusammen, es wird gut gegessen und es wird gesungen. Ich singe auch sehr gern Weihnachtslieder. Textlich wird das halt ein wenig verändert, so dass es ohne Christentum auskommt. Bei ‚Es wird scho glei dumper´ singen wir beispielsweise ‚Liebling‘ statt ‚Heiland‘. Dann sind das das wunderschöne Winterlieder, Kinderlieder oder Schlaflieder.“
Bösch glaubt, dass gerade Kinder solche Rituale lieben und benötigen. „Meine Partnerin und ich denken beide sehr politisch und sind überzeugte Atheisten. Doch warum sollen wir einem Kind etwas wegnehmen, was wunderschön ist? Für uns ist das Fest selbst der zentrale Moment, wir brauchen da kein Christkind oder keinen Heiligen Nikolaus.“
Und sogar einen Weihnachtsbaum gibt es: „Wir haben es jetzt bereits zweimal mit einem lebendigen Baum aus dem Wald versucht, beide Male hat er nicht überlebt. Aufgeben ist aber keine Option. Jetzt pflanzen wir eben selbst einen garantiert atheistischen Weihnachtsbaum bei uns im Garten.“