[ND] War Sebastian Kurz in die Ibiza-Affäre eingeweiht?
[Erstveröffentlichung: ND, 25.07.2019] Die Situation an diesem 23. Mai war offenbar so ungewöhnlich, dass sich die Mitarbeiter der Firma Reisswolf noch heute daran erinnern. „Das ist noch nie vorgekommen. So etwas haben wir überhaupt noch nie erlebt“, sagt Geschäftsführer Siegfried Schmedler gegenüber dem Magazin Falter. Reisswolf ist spezialisiert auf die Vernichtung von sensiblen Datenträgern.Der Mann tauchte persönlich mit fünf Festplatten bei Reisswolf auf und wollte, dass diese zerstört werden. Er soll nervös gewirkt haben, wollte die Datenträger keinesfalls aus der Hand geben und hätte darauf bestanden, dass die Festplatten gleich dreimal geschreddert werden, sagt Geschäftsführer Schmedler. Ein Durchgang ist üblich. Abschließend wollte der Mann sogar die Krümmel wieder mitnehmen.
Österreich stand zu diesem Zeitpunkt im Bann der Ibiza-Affäre, die sechs Tage vorher bekannt geworden war. Die FPÖ musste die Regierung bereits verlassen, nun stand ein Misstrauensantrag gegen die ÖVP-Alleinregierung unter Sebastian Kurz im Raum – der wenige Tage später auch tatsächlich eine Mehrheit im Parlament fand.
Das Strache-Video beweist, dass die FPÖ eine Partei der Reichen ist
In der ÖVP schrillten offenbar die Alarmglocken, sensible Daten sollten vor dem erwarteten Abgang aus der Regierung noch schnell vernichtet werden. Einen Teil der Daten sollte Arno M. zerstören lassen, Leiter der Abteilung für soziale Medien im Bundeskanzleramt. Dabei handelte es sich um Festplatten aus dem Kabinett des Bundeskanzlers, also aus dem engsten Kreis rund um Kurz. Es sollen die Festplatten von Druckern gewesen sein, auf denen alle möglichen Daten gespeichert waren.
An sich nicht unüblich. Gewisse Daten aus der Regierungszeit müssen archiviert werden, andere dürfen vernichtet werden. Doch zuständig dafür ist die IT-Abteilung des Bundeskanzleramts. Deren Leiter soll dagegen gewesen sein, dass die Festplatten außer Haus gebracht werden.
Falscher Name, keine Bezahlung
Die Geschichte hätte niemals das Licht der Öffentlichkeit erblicken müssen – wenn Arno M. die Rechnung in Höhe von rund 76 Euro bezahlt hätte. Denn bei Reisswolf hat M. einen falschen Namen angegeben und sogar eine falsche E-Mail-Adresse präsentiert. Problematisch wurde die ganze Geschichte offenbar, als klar wurde, dass die Firma keine Barzahlung erlaubt und er nun seine wahre Identität enthüllen müsste. Stattdessen entschloss er sich, die Rechnung nicht zu bezahlen. Doch M. hatte seine richtige Telefonnummer angegeben und stand in der Öffentlichkeit.
Als Sebastian Kurz wenige Tage später seine Abschiedsrede hielt, die im Fernsehen übertragen wurde, stand M. hinter ihm – und wurde prompt von einem Mitarbeiter von „Reisswolf“ erkannt. Als schließlich trotz Mahnung kein Zahlungseingang folgte, entschloss sich die Firma zu einer Betrugsanzeige.
Welche Informationen sich auf den Datenträgern befunden haben, ist unbekannt. Aufgrund der zeitlichen Nähe ermittelt nun die Staatsanwaltschaft, ob es Verbindungen der ÖVP zur Ibiza-Affäre gibt. Entsprechende Gerüchte gibt es seit längerem. Vor einiger Zeit tauchten E-Mails auf, die belegen sollen, dass Kurz bereits im Februar von den Videos wusste. Es seien Fälschungen, heißt es aus der ÖVP.
Für Sebastian Kurz ist die Vernichtung der Datenträger dennoch „ein üblicher Vorgang“. Das sieht Geschäftsführer Schmedler anders. Es sei in der 25-jährigen Geschichte des Unternehmens „noch nie passiert, dass jemand unter falschem Namen und mit so einem Aufwand“ Festplatten vernichten ließ.