[Vice] Mindestens sechs antisemitische Sprechchöre waren beim Derby zu hören. Das Ganze ist auf Video dokumentiert.
[Erstveröffentlichung: Vice, 10.05.2017] Der Abpfiff beim Derby der beiden Nachwuchs-Teams von Austria Wien und Rapid hallt noch nach. Trotz zwei Mann weniger haben die Austria-Amateure in einem erbittert geführten Match mit 2:1 gegen den SK Rapid II gewonnen. Dementsprechend jubeln und feiern die Spieler der „Veilchen“. Plötzlich beginnt der Sprechchor: „Judenschweine! Judenschweine!“
Zuerst sind es nur einer oder zwei, dann fallen immer mehr Rapid-Fans ein. Gezählte 6 mal hallt der Ruf über den Rasen bei diesem Spiel am 9. Mai 2017. Ein Videoteam von Platzverweis.at hat das Match gestreamt und die Szene dabei eingefangen. Zu sehen ist sie auf diesem Video ab Minute 1:19:45. Eine Reaktion von Schiedsrichtern oder Offiziellen ist auf dem Video nicht zu erkennen.
Die Beschimpfung als „Judenschweine“ für die Austrianer ist diesen Rapid-Fans vermutlich nicht zufällig oder spontan eingefallen. Die Wiener Austria galt in der Zwischenkriegszeit als Klub des liberalen jüdischen BürgerInnentums. Ein großer Teil der Mitglieder des Klubvorstands musste 1938 wegen ihrer jüdischen Herkunft vor den Nazis flüchten. Der langjährige Klubsekretär Norbert Lopper („Mister Austria“) überlebte die Hölle von Auschwitz, seine Frau wurde ermordet.
Antisemitische Ausfälle gegen die Austria, ihre Spieler und Fans gab es vereinzelt auch in der Vergangenheit – mit Berichten über Rapid-Fans, die als Verhöhnung der Austria sogar das sogenannte U-Bahn-Lied anstimmten. Der Text: „Eine U-Bahn bauen wir von Favoriten bis nach Auschwitz!“ Der Historiker und Rapid-Fan Roman Birke hat selbst ebenfalls bereits antisemitische Ausfälle in der Rapid-Kurve beobachtet.
Er beschreibt auf seinem Blog ein Derby gegen die Austria am 9. November 2014, also dem Jahrestag der Reichspogromnacht:
„Etwas entfernt von mir stand eine Gruppe von 4 bis 5 Männern. Einer davon begann nach dem Tor in die Richtung Damaris zu rufen: ‚Jude! Jude! Jude!‘. Ähnliche Kommentare wiederholten sich. Nach dem zweiten Tor von Damari in der 40. Minute rief er ‚Judenschwein! Judenschwein!‘. Die um ihn versammelten Männer stimmten diesmal mit ein. An die ganze Mannschaft der Austria gerichtet riefen sie „Judenschweine! Judenschweine!‘ und wiederholten diese Parolen ein paar Mal.
Kurz vor der Pause gab es Auseinandersetzungen im Austria-Sektor, einzelne Leuchtstifte wurden in den neutralen Sektor geworfen. (…) Der Fan-Beauftragte von Rapid, Andy Marek, ließ über das Stadionmikro verlauten, damit aufzuhören – oder wie er es ausdrückte: ‚Owa vom Gas!‘. Die Männergruppe nahm das zum Anlass, um lachend zu sagen: ‚Eine ins Gas!‘, womit sie offensichtlich auf die Massenvernichtung in Gaskammern anspielten. Ob es noch weitere solcher Vorfälle gab, kann ich nicht sagen. Vorstellbar ist es aber in jedem Fall.“
Auch in sozialen Netzwerken sind antisemitische Beschimpfungen gegen die Austria regelmäßig zu bemerken. So schreibt ein User auf der Facebook Seite von Laola im Juli 2016: „Das ist halt die Austria, wer schaut sich den Juden-Verein an.“ Andere sind noch deutlicher – etwa die Gruppe Droogieboyz mit ihrem Lied „Grün Weisse Krieger“.
Unter AnhängerInnen von Rapid ist es äußerst beliebt, obwohl der Text höchst problematisch ist. Im Text wird mehrmals die „Hütteldorfer Terrorzene“ gelobt, eine früher bei Rapid sehr erfolgreiche Vorfeld-Struktur der Neonazi-Organisation rund um Gottfried Küssel. Die Textzeile „Die Zaunfahne hoch“ erinnert an die erste Zeile des Horst-Wessel-Lieds, wo es „Die Fahne hoch“ heißt.
Doch nicht nur die Austria wird Ziel von antisemitischen Ausfällen aus dem Rapid-Anhang, auch den eigenen Verein kann es treffen. Als das neuerrichtete Stadion des SK Rapid im Juli 2016 eingeweiht wurde, sorgte der neue Name „Allianz Stadion“ bei vielen Fans für Proteste.
Das ist nachvollziehbar, denn für traditionsbewusste Fußballfans ist es unerträglich, wenn Vereinsname, Vereinslogo oder der Name des Stadions durch Sponsorlogos verändert werden. Doch manche Fans benützten den Protest für eine antisemitische Attacke. „Fick die Allianz“ wurde in der Nähe des Rapid-Stadions gesprayt. Das „A“ aus Allianz wurde dabei zum Davidstern verändert.
Absurderweise gibt es auch regelmäßig antisemitische Vorfälle von rechten Teilen des Austria-Anhangs. Über die Lage bei der Austria und ihre Probleme mit rechten Fans habe ich hier bereits ausführlich berichtet.
Die Rechtsextremen und Neonazis beider Seiten dürften sich dabei ausgezeichnet verstehen. Als sich etwa im Jahr 2011 Uwe B. von der violetten Neonazi-Truppe Unsterblich das Leben nahm, fanden sich beim anschließenden Trauermarsch auch zahlreiche Rapid-Fans ein, teils erkennbar als Mitglieder des Fanclubs Alte Garde.
Ein Rapid-Fan zeigte dabei sogar den Hitler-Gruß. Verurteilung gab es allerdings keine – das Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft Wien eingestellt. Die Begründung: Er sei betrunken gewesen.
In den vergangenen Jahren konnten Rechtsextreme im Stadion von Rapid kaum offen auftreten, das wurde von der sogenannten „aktiven Fanszene“ von Rapid verhindert. Vorfälle wie eine große Südstaatenfahne während eines Derbys gegen die Austria im Oktober 2015 waren Einzelfälle. Doch gleichzeitig dürften rechtsextreme Rapid-Fans insgesamt aktiver werden.
Im Wiener Stadtbild sind etwa immer öfter Aufkleber zu sehen, die das Logo von Rapid mit einer Südstaatenfahne verbinden. Mit den „Werwölfen Rapid“ gibt es einen einschlägig rechtsextremen Fanclub, der auf der Homepage des Vereins sogar als offizieller Fanclub geführt wird. Und auch die jüngsten antisemitischen Ausfälle sind ein klares Indiz, dass es bei Rapid noch sehr viel zu tun gibt.