Die Neos waren richtig billig. Warum die Koalition in Wien dennoch den Neoliberalismus stärken wird – und warum das für die Zukunft keine gute Nachricht ist. Teil 2 der Neos-Serie.
Die Neos sind beim Limbo am tiefsten gegangen. Fast tiefer, als physisch möglich schien. Richtung SPÖ schreibt der Leiter der neoliberalen Agenda Austria (AA), Franz Schellhorn: „Man kann Euch nur gratulieren! So wurde überhaupt noch niemand über den Tisch gezogen“. Die AA ist eine Lobbygruppe der Industriellenvereinigung.
Die Neos hätten der SPÖ „mit einem fröhlichen Lächeln auf den Lippen“ alle Wünsche erfüllt, so Schellhorn weiter. Sie hätten „keine einzige liberale Kernforderung“ durchgebracht. Was im Koalitionspaket zu lesen wäre: „Staat, Staat, Staat, Staat, Staat, Staat. Liberale Inhalte? Fehlanzeige.“
Schlitten und Seilbahn fahren
Der Unmut des neoliberalen Ideologen Schellhorn ist verständlich. Die SPÖ ist mit den Neos offensichtlich Schlitten gefahren. Oder Seilbahn. Denn im bisher bekannten Programm findet sich kaum etwas, was ideologisch originär den Neos zuzuordnen ist. Und wo sich Neos-Forderungen finden, ist viel Blabla dabei.
Symptomatisch dafür das Projekt einer Seilbahn im Westen Wiens – das wohl gezielt bereits vorab in die Medien getragen wurde. Es ist eine Forderung der Neos, die damit einen kleinen Erfolg bekommen. Ob eine solche Seilbahn verkehrstechnisch überhaupt sinnvoll ist, steht auf einem anderen Blatt. Doch tatsächlich steht im Koalitionsprogramm ohnehin nur, die Machbarkeit würde „geprüft“. Jo eh.
Schall und Rauch
Lustig auch, was aus der Neos-Forderung einer drastischen Reduzierung der Parteienfinanzierung wurde. Zeitweise hatte die Partei sogar eine Reduktion um 75 Prozent gefordert – wohl nicht ganz uneigennützig: Die Partei ist kaum auf solche Zuwendungen angewiesen, weil sie seit ihrer Gründung von Multimilliardär Hans Peter Haselsteiner finanziert wurde.
Sichere Bahnen oder private Profite – es verträgt sich nicht
Was nun in Wien aus dieser Forderung wurde: Die Parteienfinanzierung wird für zwei Jahre nicht erhöht. Die SPÖ-VerhandlerInnen haben sich vermutlich kräftig auf die Schenkel geklopft.
100 Kinder aus Moria? Wirklich?
Apropos Auflösung in heiße Luft: Das wird vermutlich auch mit der Forderung der Neos passieren, die noch im Wahlkampf „100 Kinder aus Moria“ in Wien aufnehmen wollten. Eine entsprechende Resolution wurde dann auch im Wiener Landtag mit den Stimmen von SPÖ, Grünen und Neos verabschiedet. Warum nur 100 Kinder und was die Kinder dann in Wien ohne ihre Eltern tun sollten, wurde übrigens in der Presseaussendung der Neos nicht näher ausgeführt.
Die Forderung selbst war allerdings ohnehin primär propagandistisch – und diente wohl vor allem dem Zweck, den Grünen WählerInnen abzujagen. Denn im Programm der Partei, „Pläne für ein neues Österreich“, liest sich das etwas anders. Dort steht tatsächlich etwa in klassischer Abschottungs-Propaganda, dass Österreich angeblich „durch Flucht- und Migrationsbewegungen vermehrt unter Druck“ stehen würde.
Bedauernd wird dann festgestellt, dass es „im Falle einer Ablehnung eines Asylantrages schwer“ wäre, Menschen „zurückzuschicken“, also abzuschieben. Die „Binnenwanderung“ von geflüchteten Menschen müsse „verhindert werden“. „Binnenwanderung“ – genau das wäre letztlich die Aufnahme von Kindern aus Moria. Klingt doch etwas anders als die Plakate im Wahlkampf.
Was werden die Neos in der Wiener Stadtregierung tun können?
Vorerst nicht wahnsinnig viel. Sie sind ein kleiner Gemeinderatsklub, sie haben wenig Ressourcen und keinerlei erfahrenes Personal. Während die Grünen nach nunmehr zehn Jahren eingearbeitet waren, müssen die Neoliberalen ganz von vorne anfangen. „Die ersten zwei Jahre waren wir nur damit beschäftigt, uns irgendwie einen Überblick zu verschaffen“, sagte mir vor wenigen Tagen ein hochrangiger Wiener Grüner.
Dazu kommt: Die Grünen hatten wohl auch über das eigene Regierungsressort hinaus Sympathien im Apparat der Stadt. Sie hatten (und haben) auch in anderen Magistratsabteilungen SympathisantInnen und damit HinweisgeberInnen. Die ParteigängerInnen der Neos dagegen werden im Bereich der Stadt Wien eher überschaubar sein. Der Informationsfluss wird gegen Null gehen.
Dennoch ist weiterhin wesentlich, wofür die Neos tatsächlich stehen. Denn nur so wird verständlich, was sie machen würden, wenn sie stärker werden.
Am „kernliberalen“ Rand der Neos
Der neue Wiener Neos-Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr hat seine Wurzeln bei den „Jungen Liberalen“ (JuLis). 2013 etwa ist er in einem Protokoll der Österreichischen Hochschülerinnenschaft als hochrangiger Funktionär der JuLis aufgeführt. Die zuvor unabhängigen JuLis sind eine der Fraktionen, die an der Gründung der Neos in ihrer heutigen Form beteiligt sind. Mehr zur Gründung der Partei könnt ihr im Teil 1 lesen sowie im bald erscheinenden Teil 3.
Der erste Parteichef Matthias Strolz bezeichnet die JuLis damals als den „kernliberalen Rand“ der neuen Partei. So pushen die JuLis etwa Privatisierungen oder die neolibale Flat Tax. Es sind klassische Forderungen bürgerlich-rechter Parteien.
Damit sollte nicht überraschend, dass der heutige designierte Vizebürgermeister Wiederkehr noch im August 2018 gemeinsam mit ÖVP und FPÖ in Wien einen neuen „parteifreien“ Bürgermeister installieren wollte. Auch die aktuelle Bundesparteichefin Beate Meinl-Reisinger unterstützte das damals.
Für 12-Stunden-Tag und Sozialabbau
Besonders auffallend aber die damalige Begründung von Neos-Generalsekretär Nick Donig für die Wiener Bürgerblock-Fantasien. Es würde den Neos doch angeblich stets nur um die Sache gehen – deshalb hätten sie auch im Parlament gemeinsam mit ÖVP und FPÖ für den 12-Stunden-Tag gestimmt.
So wird auch klar, welche Art von Bürgermeister und welche Art von Politik sich die Neos für Wien gewünscht hätten: Einen Angriff auf die arbeitende Bevölkerung. Übrigens standen die Neos auch an vorderster Front, als es um die Abschaffung der Notstandshilfe ging.
„Es ist zum Scheißen“: Das sagen junge Arbeitende über den 12-Stunden-Tag
Statt der Notstandshilfe solle es nach zwei Jahren laut Neos-„Sozial“sprecher Gerald Loacker nur noch die Mindestsicherung geben. Damit würde auf die Ersparnisse der Betroffenen zugegriffen werden. Das würde zahlreiche Menschen in Wien enorm hart treffen – etwa ältere Menschen, die keinen Arbeitsplatz mehr finden und denen dann kurz vor der Pension ihre Ersparnisse weggenommen werden.
Gemeindewohnungen und Notstandshilfe
Es gibt einen gravierenden Unterschied zwischen dem, was die Neos wollen und dem, was sich jetzt im Wiener Regierungsprogramm wieder findet. Dazu reicht ein Blick in das aktuelle Programm der Wiener Neos. Für MieterInnen in Gemeindewohnungen etwa wollen sie regelmäßige Einkommensüberprüfungen – und darauffolgende Mieterhöhungen.
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Auch die Wiener Neos wollen die Abschaffung der Notstandshilfe. Die solle durch ein „Bürgergeld“ ersetzt werden, heißt es etwas nebulös. Wer wissen will, was das konkret bedeutet, muss tiefer graben – vermutlich kein Zufall.
Die Erklärung zum „Bürgergeld“ findet sich dann im Bundesprogramm „Pläne für ein neues Österreich“. Und dort steht eindeutig: Durch die Notstandshilfe würde das Versicherungsprinzip „überspannt“, sie wäre den Neoliberalen also zu teuer. Dass das Arbeitslosengeld in Österreich immer gleich hoch sei, führe dazu, „dass es keinen wesentlichen Erwerbsanreiz gibt.“
Schlussfolgerung der Neoliberalen sind nicht etwa mehr, bessere und besser bezahlte Jobs, sondern: „ein Absinken der Leistung im zeitlichen Verlauf“.
Privatisierungen in Wien
Ebenfalls im Programm der Wiener Neos zu finden: Die indirekte Forderung nach Privatisierungen. „Mittelfristig“ sollten im Magistrat nur noch „Verwaltungstätigkeiten und hoheitliche Aufgaben“ verbleiben. Alle anderen Magistratsabteilungen sowie Beteiligungen seien in „Holdinggesellschaften für Infrastruktur, Immobilien, Gesundheit sowie Kunst und Kultur“ auszugliedern.
Solche Ausgliederungen aber sind zumeist der erste Schritt zur Privatisierung – und genau das lässt sich auch aus dem Programm der Neos herauslesen. Denn parallel dazu heißt es, die „historisch gewachsenen Strukturen der Beteiligungen“ der Stadt Wien müssten „kritisch hinterfragt“ werden.
Aber sie haben doch ohnehin nichts zu sagen?
Das aktuelle Koalitionsübereinkommen ist im Wesentlichen offenbar ein SPÖ-Programm – oder korrekter: Das Programm des SPÖ-Flügels unter Führung von Bürgermeister Michael Ludwig, der derzeit die Mehrheit in der Wiener Partei hat.
Gleichzeitig zeigt dieses Programm aber auch, dass die Neos offenbar bereit sind, fast alles zu tun, um in die Entscheidungszentren der Macht vorzudringen. Keine guten Vorzeichen. Denn die neoliberale Partei wird aus dieser Koalition vermutlich gestärkt hervorgehen.
Stärkung des Neoliberalismus
Die Neos werden nun in Wien einen gewissen Einfluss auf (langfristig wirksame) Postenbesetzungen und politische Entscheidungen bekommen. Sie werden Jobs für eigene ParteigängerInnen schaffen und damit ihre Schlagkraft erhöhen. Sie werden Geld und Ressourcen für eigene Projekte bekommen. Und sie werden verstärkte mediale Präsenz erhalten.
Langfristig wird Ihnen das sicherlich nutzen, auch wenn es sich kurzfristig nicht im Koalitionspakt niederschlägt. Und hier sollten wir uns daran erinnern, dass die Neos noch 2018 gemeinsam mit ÖVP und FPÖ in Wien den Bürgerblock durchsetzen wollte.
Das alles ist keine Fiktion: Bei der Gemeinderatswahl 2015 hatten die drei Parteien des Bürgerblocks gemeinsam bereits 46,19 Prozent. Da fehlt nicht mehr so viel auf die Mehrheit. Und danach würden sie vermutlich all das durchsetzen, was auch in ihren Programmen steht. Für große Teile der Wiener Bevölkerung wäre das eine gefährliche Drohung.
Die ganze Serie:
Teil 1: Die Neos sind ein Spaltprodukt der ÖVP
Teil 2: Rot-Pink wird den Neoliberalismus stärken
Teil 3: Wie die Neos aus einer FPÖ-Abspaltung entstanden sind
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