Umstrittene Vorwürfe: Ilhami Sahbaz sitzt in der Türkei im Gefängnis

[FM4] Ein österreichischer Staatsbürger sitzt seit Monaten in der Türkei im Gefängnis. Nun erhebt die Familie schwere Vorwürfe gegen die österreichischen Behörden.

[Erstveröffentlichung: FM4] Bereits seit dem 22. Oktober 2019 sitzt der Vorarlberger Ilhami Sahbaz in der Türkei im Gefängnis. Am 14. Jänner wurde er in einem umstrittenen Verfahren zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Das österreichische Außenministerium bestätigt, dass der Fall bekannt ist. Nun wendet sich seine Familie an die Öffentlichkeit – und übt scharfe Kritik an den österreichischen Behörden.

Umstrittene Vorwürfe

Vorgeworfen werden dem 52-jährigen Sahbaz die Unterstützung und die Mitgliedschaft in einer „terroristischen“ Organisation. Sahbaz ist österreichischer Staatsbürger kurdischer Herkunft, gemeint ist die kurdische Arbeiterpartei PKK. Die gilt in der Türkei als „terroristische Organisation“, eine äußerst umstrittene Ansicht. Erst am Dienstag hatte der belgische Verfassungsgerichtshof festgestellt, dass die PKK nicht als „Terrorgruppe“ gelten könne, sondern eine Kriegspartei in einem bewaffneten Konflikt ist.

Mülkiye Laçin

Mülkiye Laçin

Die derzeit gegen Ilhami Sahbaz vorliegenden Vorwürfe scheinen dazu auch noch äußerst dürftig, sie erinnern an die Fälle der Wienerin Mülkiye Laçin sowie des Steirers Max Zirngast. Laçin durfte nach ähnlichen Vorwürfen monatelang nicht aus der Türkei ausreisen und konnte das Land erst Anfang Jänner verlassen. Zirngast saß sogar mehrere Monate in Haft, bevor er im September 2019 freigesprochen wurde.

Legale Betätigung

Ein neu gegründetes Solidaritätskomitee für Ilhami Sahbaz hat die Anklageschrift ins Deutsche übersetzt. Gerhard Mack, einer der Sprecher, zeigt sich gegenüber FM4 über die „dubiosen Vorwürfe“ empört: „Ilhami Sahbaz werden in der Anklageschrift im Wesentlichen seine Betätigung für einen angemeldeten Verein sowie seine Teilnahme an angemeldeten Demonstrationen in Österreich zur Last gelegt.“

Der Verein, um den es in der Anklage geht, das ist der Vorarlberger Ableger der FEYKOM, des Dachverbands der kurdischen Vereine in Österreich. Ein legitimer und behördlich eingetragener Verein, Sahbaz hatte dort den Posten des Vereinskassiers.

Prokurdische Demonstrationen

Bild: Michael Bonvalot

Dann gibt es offenbar noch Fotos von Sahbaz, die ihn auf angemeldeten Demonstrationen zeigen, etwa in Solidarität mit dem syrisch-kurdischen Rojava. Für den türkischen Staat scheint das offenbar bereits Terrorismus zu sein. „Der türkische Staat will damit erneut eine legale politische Betätigung in Österreich bestrafen“, kritisiert Mack.

Was tat das Außenministerium?

Schwere Vorwürfe gegen die österreichischen Behörden erhebt nun Nesimi Sahbaz, der Bruder des Betroffenen. „Ilhami hat als österreichischer Staatsbürger keinerlei Unterstützung erhalten“, sagt er. „Uns wurde gesagt, es wird ein Brief an die türkischen Stellen geschickt – danach haben wir nichts mehr gehört.“ Es hätte auch keine Prozessbeobachtung vor Ort geben, die österreichischen Behörden hätten überhaupt nie Kontakt mit Ilhami Sahbaz gehabt.

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Der Sprecher des Außenministeriums, Peter Guschelbauer, sagt dazu nur: „Wir stehen mit der Familie des Betroffenen in Kontakt. Der Betroffene selbst hat sich bisher nicht an die österreichischen Behörden gewandt. Unsere Botschaften unterstützen alle österreichischen Staatsbürger, die diese Unterstützung wünschen.“ Den Vorwurf, dass es – im Gegensatz etwa zum Fall Zirngast – keine Prozessbeobachtung durch die österreichischen Behörden gegeben hatte, kommentiert das Außenministerium nicht. Es gibt also auch kein Dementi.

Ilhami Sahbaz

Ilhami Sahbaz

Wozu die Dokumente?

Auch über die Qualität des Kontakts zwischen der Familie und den Behörden gibt es unterschiedliche Ansichten. So fordert das Außenministerium am 5. November per Mail Originaldokumente des inhaftierten Ilhami Sahbaz an (das Mail liegt FM4 vor). Unter anderem soll die Familie den „Nüfus“, also den Personalausweis, von Ilhami Sahbaz „samt deutscher Übersetzung“ per Post an das Außenministerium schicken. „Doch das ist ein Dokument, das nur türkische Staatsbürger haben, mein Bruder hat so etwas nicht“, sagt Bruder Nesimi. „Es hat gewirkt wie ein Trick.“

Tatsächlich ist völlig unklar, warum das Außenministerium türkische Dokumente von Sahbaz benötigt. Die österreichische Staatsbürgerschaft von Ilhami Sahbaz kann das Ministerium jederzeit selbst überprüfen. Und es ist den Behörden bekannt, dass der Inhaber der Dokumente zu diesem Zeitpunkt in der Türkei im Gefängnis sitzt. Auf meine diesbezügliche Anfrage beim Außenministerium auch hier kein Dementi.

Nesimi Sahbaz erhebt noch einen weiteren Vorwurf: „Bei einer Kontaktaufnahme mit dem Außenministerium in Wien wurde uns gesagt, es könne nichts für uns getan werden. Wir sollten mit der österreichischen Botschaft in Ankara sprechen.“ Auch diesen Vorwurf dementiert das Außenministerium nicht.

Verhaftung vor dem Krankenhaus

Die beiden Brüder kennen die Türkei fast nur als Urlaubsland. Die Familie ist nach Österreich gekommen, als Ilhami Sahbaz elf Jahre alt war. Er hat dann eine Bäckerlehre begonnen, „doch das war nichts für ihn“, wie sein Bruder sagt. Bis zu seiner Verhaftung in der Türkei hat er als Färber in einer Textilfabrik gearbeitet. Schichtarbeit, ein harter Job. Es ist eine proletarische Familie: Sein Bruder Nesimi ist bereits seit 25 Jahren in einer lokalen Gießerei beschäftigt. „Zumindest kalt isch mir nie“, sagt er in breitem Vorarlbergerisch.

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Doch dann kam die Erkrankung des Vaters, der in der Türkei lebt. Er ist schwer herzkrank, im Sommer 2019 musste er sich einer Operation unterziehen. „Das Krankenhaus ist 200 Kilometer vom Dorf entfernt, wo unser Vater wohnt, jemand musste ihm während der Untersuchungen helfen und ihn hin und her fahren“, erzählt mir Nesimi Sahbaz. Die Familie beschließt, dass Ilhami den Vater am besten unterstützen könne.

Kurz vor der Rückreise nach Österreich schlägt die türkische Polizei dann zu: Ilhami Sahbaz wird am Parkplatz des Krankenhauses verhaftet, wo sein Vater operiert worden war. „Die Familie hat zuerst noch lange auf ihn gewartet, die wussten gar nicht, wo er auf einmal ist“, sagt Nesimi Sahbaz.

Psychische Folter

In der Untersuchungshaft wird Sahbaz dann laut seinem Bruder und dem Solidaritätskomitee ohne Anwalt verhört – selbst in der Türkei ein schwerer Verfahrensfehler. Ihm sollen auch Bilder aus Österreich sowie sogar ein österreichischer Vereinsregisterauszug vorgelegt worden sein. Ein solcher Auszug kann in Österreich über das Internet abgerufen werden. Doch es wäre überraschend, wenn türkische Behörden so etwas wüssten. Es deutet eher auf eine Tätigkeit türkischer (Geheimdienst-)Behörden in Österreich hin.

Max Zirngast

Max Zirngast. Bild: Michael Bonvalot

Schließlich soll Sahbaz während des Verhörs auch direkt bedroht worden sein. „Unser Vater würde vernichtet. Es würde ja nicht auffallen, wenn er während einer Operation sterben würde“, erzählt sein Bruder über die Drohungen. Sahbaz unterschreibt eine offenbar erzwungene Aussage. „Doch nach türkischem Recht ist ein Verhör ohne Anwalt gar nicht zulässig“, sagt Gerhard Mack. „Die Aussage dürfte also vor Gericht nicht gelten.“

Versuchte Flucht

Ilhami Sahbaz will sich darauf nicht verlassen. Nach der Freilassung aus der Untersuchungshaft soll er sich einmal in der Woche bei der Polizei melden und auf seinen Prozess warten. Doch Sahbaz traut dem türkischen Staat nicht – mit wohl nachvollziehbaren Gründen.

Die türkischen Behörden verhaften regelmäßig nicht nur prokurdische und linke Bürgermeister*innen. Im September 2019 wurde sogar Canan Kaftancıoğlu, die Istanbuler Vorsitzende der größten Oppositionspartei CHP, zu zehn Jahren Haft wegen „Terrorpropaganda“ verurteilt. Kaftancıoğlu gehört dem linken Flügel der sozialdemokratischen CHP ab, die selbst strikt türkisch-nationalistisch ist.

Impressionen aus Kurdistan

Ilhami Sahbaz will nicht darauf hoffen, dass er mehr Glück hat als diese bekannten Politiker*innen. Im Oktober versucht er, die Türkei zu verlassen – der Versuch scheitert. Knapp vor der Grenze zum Irak wird Sahbaz festgenommen, seither sitzt er in türkischen Gefängnissen.

Aussage zugelassen

Beim Prozess im Jänner wird Sahbaz dann wegen angeblicher Terrorpropaganda und sogar wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Die Aussage, die er – möglicherweise nach Drohungen gegen den Vater und ohne Anwalt – unterschrieben hatte, wird vor Gericht zugelassen.

Sahbaz und seine Anwälte gehen zwar in Berufung – doch in der Zwischenzeit muss er weiter im Gefängnis sitzen. Am 10. Februar kommt noch ein zweiter Prozess hinzu: Für seinen Versuch, die Türkei zu verlassen, könnte Sahbaz zusätzlich bestraft werden.

Prokurdische Demonstrationen

Michael Bonvalot

Gesundheitliche Gefahr

Seine Familie macht sich große Sorgen. „Mein Bruder braucht dringend Medikamente. Vor einiger Zeit hatte er eine Magenoperation, dabei ist sein Magen verkleinert worden“, sagt Nesimi Sahbaz. “ Ilhami kann nur wenig auf einmal essen, er braucht Vitamine, er kann nicht einmal zwei Gläser Wasser hintereinander trinken.“ Dazu kommen weitere gesundheitliche Probleme, erzählt sein Bruder.

„Ilhami hat schwere Atemprobleme, teilweise hört er beim Schlafen einfach zu atmen auf.“ In Vorarlberg hat er ein Gerät, das ihn beim Atmen unterstützt. Die Familie hätte auch die türkischen Behörden darüber informiert, dass Sahbaz ein solches Gerät braucht. „Doch wir haben nicht einmal eine Antwort bekommen.“ Bruder Nesimi ist besorgt: „Das Gefängnis ist Gift für Ilhami.“

Wie geht es weiter?

Auch soziale Probleme quälen die Familie. Ilhami Sahbaz hat während seiner Zeit im Gefängnis seinen Job verloren, wie sein Bruder erzählt. „Die Fabrik, wo seine Frau derzeit noch arbeitet, sperrt in sechs Monaten auch noch zu“, sagt Nesimi Sahbaz. „Die vier Kinder helfen zwar, wo sie können, doch der jüngste ist erst zwölf Jahre alt.“

Die Türkei: Ein Land im Krieg

In Vorarlberg hat die Familie ein Haus gebaut, der Kredit läuft. Ohne den Job des Vaters können die Raten nicht mehr lange bezahlt werden. Wie es weitergeht, falls Ilhami Sahbaz weitere sechs Jahren im Gefängnis bleiben müsste? „Das weiß ich nicht“, sagt sein Bruder traurig.

Sahbaz ist nicht der einzige

Das Solidaritätskomitee für Ilhami Sahbaz geht derzeit von rund einem halben Dutzend weiterer Fälle aus, die ähnlich gelagert sind wie jener von Sahbaz, Laçin und Zirngast. Auf meine diesbezüglichen Fragen an das Außenministerium erhalte ich nur die allgemeine Antwort: „Seit dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei kann es immer wieder zu Festnahmen und kurzfristigen Anhaltungen in der Türkei kommen.“

Braune Wölfe im Schafspelz

Unterstützung für Sahbaz kommt von Ewa Ernst-Dziedzic, Vizeklubchefin der Grünen. Sie kündigt an, den Prozess gegen Ilhami Sahbaz zu beobachten. Ernst-Dziedzic spricht von einem Fall, „wo die Vorwürfe konstruiert erscheinen“ und fordert, dass Sahbaz „den konsularischen Schutz erhält, den er in der jetzigen Situation braucht“. Alleine die Verweigerung medizinisch notwendiger Medikamente wäre „ein Bruch elementarer Menschenrechte“, so Ernst-Dziedzic.

Auf Unterstützung durch die österreichischen Behörden im kommenden Gerichtsverfahren am 10. Februar sowie im Berufungsverfahren hofft auch Nesimi Sahbaz: „Wir haben derzeit das Gefühl, dass wir mit einem schwarzen Loch sprechen. Doch mein Bruder Ilhami braucht dringend Unterstützung.“

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