[drr] Seit Dezember 2017 regiert in Österreich eine neue rechts-rechte Koalition der konservativen »Österreichischen Volkspartei« und der extrem rechten »Freiheitlichen Partei Österreichs«. Öffentlich haben sich die »Freiheitlichen« in der Opposition immer als »soziale Heimatpartei« verkauft. Doch tatsächlich droht mit ihr ein massiver und nachhaltiger neoliberaler Umbau des Staates.
[Erstveröffentlichung: der rechte rand 171, März 2018] Auf der Facebook-Seite von Heinz-Christian Strache, Vize-Kanzler und Vorsitzender der »Freiheitlichen Partei Österreichs« (FPÖ), macht sich Empörung breit. »danke für 12h Arbeit …. Ich wähle Euch nie wieder« schreibt eine Frau. Eine andere ergänzt: »So Herr Strache, es reicht ich war mein ganzes Leben lang FPÖ-Wähler, aber sollten Sie das akzeptieren dann glaube ich, dass ich mir eine andere Partei suche. Bleiben sie bei dem, was sie versprochen haben …« Wesentlich prägnanter fasst es ein Dritter zusammen: »Den Arbeitnehmer die Überstundenzuschläge wegnehmen! Super Leistung! Ihr Verbrecher!« (sic!)Der Grund der Empörung: Im Dezember 2017 wurde bekannt, dass die neue österreichische Bundesregierung aus der konservativen »Österreichischen Volkspartei« (ÖVP) und der FPÖ die höchstzulässige tägliche Arbeitszeit auf 12 Stunden erhöhen wollte. Das ist eine lang gehegte Forderung aus der Industrie, so können die Bänder mit einem Zweischicht-Betrieb 24 Stunden am Tag laufen. Keine gute Nachricht ist das allerdings für die Beschäftigten – der Arbeitsdruck würde massiv steigen, die Überstundenzuschläge sinken.
Wahrheit als Tochter der Zeit
Besonders peinlich ist die Geschichte für FPÖ-Chef Strache: 2013 hatte er in einem Interview zum 12-Stunden-Tag noch erklärt: »Eine asoziale leistungsfeindliche Idee, da dies für alle Arbeitnehmer Nettoreallohnverluste bedeuten würde.« Nach Bekanntwerden der Regierungspläne wurde das Interview breit zitiert. Strache selbst musste wiederholt auf Facebook posten, um die Gemüter zu beruhigen – die Postings unter seinen Stellungnahmen deuteten allerdings nicht darauf hin, als würde ihm das in dieser Sache nachhaltig gelingen.
Tatsächlich aber käme eine solche Verschlechterung der Arbeitszeit-Regelung keineswegs überraschend. Aus industrienahen Kreisen der FPÖ wurde diese Forderung bereits seit Langem erhoben, im Januar 2017 starteten die Wirtschaftsverbände der »schwarzen« ÖVP und der »blauen« FPÖ sogar eine gemeinsame Kampagne zu diesem Thema. Gänzlich verschwunden hingegen ist die Forderung nach einer Erhöhung der Mindestlöhne. Bis zur Wahl im Oktober 2017 kam kaum eine Rede von Strache ohne diese Forderung aus. Im schwarz-blauen Regierungsprogramm nun allerdings kein Wort mehr davon.
Heute hier, morgen dort
Aufmerksame BeobachterInnen hätten aber ohnehin bereits früher stutzig werden können. Denn die Höhe der FPÖ-Forderung zum Mindestlohn änderte sich im Verlauf des Jahres 2017 teils im Wochenrhythmus: mal waren es 1.300 Euro, dann 1.700, kurz danach wieder nur 1.500. Insgesamt acht Änderungen der Höhe der Forderung hat der Mindestlohn à la FPÖ nach Recherchen des Autors hinter sich. Nicht unbedingt ein Hinweis, dass die FPÖ ihre eigene Forderung besonders ernst nahm.
Dies ist ein klassisches Beispiel für den Umgang der Partei mit ihren WählerInnen. Öffentlich spielen die »Freiheitlichen« gern die soziale Karte, der offizielle Parteislogan der FPÖ lautet »Die soziale Heimatpartei«. Besonders in Wahlkämpfen gibt sie sich teils vorgeblich fast sozialradikal, Slogans wie »Soziale Wärme statt EU für Konzerne« tauchen dann auf.
Fairness für Reiche
Der Begriff der Fairness wird von der FPÖ gern verwendet. Doch auch hier lohnt ein zweiter Blick. Neben klassischen rassistischen Klischeebildern, wonach geflüchtete Menschen angeblich eine »Fairness-Krise« verursachen, war der Kampf gegen eine Erbschaftssteuer eines der zentralen FPÖ-Themen im Wahlkampf 2017. Die Einführung einer solchen Steuer für Vermögende sei unfair, wie Parteichef Strache in einem Werbevideo zur Wahl behauptete.
Es wird euch nicht gefallen, was FPÖ und Schwarz-Blau noch alles planen.
Doch ihr solltet es wissen!
Michael Bonvalot: Die FPÖ – Partei der Reichen
Öffentlich erklärt die FPÖ ihre Linie mit den in Österreich gern zitierten »Häuselbauern«, denen angeblich ihr Erspartes weggenommen werden solle. Tatsächlich aber gab Strache in einem Fernsehinterview zu, dass er sogar dann gegen eine Erbschaftssteuer wäre, wenn es um Beträge von fünf Millionen Euro ginge. Auch im Regierungsprogramm von ÖVP und FPÖ findet sich der Begriff Fairness. Bisher gelten für ältere Häuser bestimmte Mietzinsbeschränkungen. Diese sollen nun aufgehoben, und damit die Mieten erhöht werden. Es sei ein Gebot der Fairness, so Schwarz-Blau, wenn künftig alle MieterInnen die gleichen höheren Mieten zahlen würden.
Burschenschaftlicher Frontalangriff
Für Aufregung sorgt die geplante Einführung eines »Hartz-IV«- Modells nach deutschem Vorbild. Bisher konnten arbeitslose Menschen in Österreich unter bestimmten Voraussetzungen ohne zeitliche Beschränkung ein leicht verringertes Arbeitslosengeld beziehen. Künftig soll auf die Ersparnisse dieser Menschen zugegriffen werden. Diese Planungen passen zum traditionellen Programm der FPÖ.
Bereits unter dem später im Alkoholrausch verunglückten Ex-Parteiobmann Jörg Haider gehörte die Propaganda gegen angebliche »Sozialschmarotzer« zum Standard-Repertoire der »Freiheitlichen«. Folgerichtig für eine Partei, deren Kaderkern sich bis in die Gegenwart vor allem aus elitären burschenschaftlichen Kreisen rekrutiert. In den letzten Jahren wurde das Thema in der Öffentlichkeit zwar zurückgefahren, vermutlich, weil auch immer mehr WählerInnen der FPÖ arbeitslos wurden. Doch intern galt immer die traditionelle Linie, die jetzt auch Regierungspolitik wird.
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Im zentralen programmatischen Text der Partei, dem 2013 veröffentlichten »Handbuch freiheitlicher Politik« heißt es, »sogenannte Berufsarbeitslose« haben »unsere Unterstützung nicht verdient«. Wer die Chance auf Arbeit habe, gesund sei und absolut nicht arbeiten wolle, »der darf auch finanziell nicht weiter unterstützt werden«. Das würde bedeuten, dass arbeitslose Menschen ohne irgendwelche finanziellen Mittel zurückgelassen werden könnten.
Kürzungen bei den Ärmsten
Ebenfalls gekürzt werden soll unter der neuen Regierung bei der sogenannten Mindestsicherung. Dabei handelt es sich um eine Grundsicherung von rund 850 Euro für Einzelpersonen. Sie wird teilweise oder vollständig ausbezahlt, wenn Anspruchsberechtigte zuvor nicht gearbeitet hatten oder wenn der Arbeitslohn unter dieser Summe liegt. Öffentlich begründet die Regierung die Kürzung vor allem mit geflüchteten Menschen, denen nun noch weniger Geld zur Verfügung gestellt werden soll.
Tatsächlich aber weisen bisherige Kürzungen in einzelnen Bundesländern darauf hin, dass »autochthone« ÖsterreicherInnen gleichermaßen betroffen wären. In klassischer Manier müssen MigrantInnen als Vorwand und Sündenböcke für soziale Kürzungen herhalten. Das zeigt sich auch in anderen Fällen.
So fordert die FPÖ in ihrem Wirtschaftsprogramm 2017, dass MigrantInnen nach einem Jahr keinerlei Arbeitslosengeld mehr bekommen sollen. Bereits nach einem halben Jahr sollen sie sich verpflichtend »am Arbeitsmarkt im Heimatland« bewerben. Es ist eine extrem zynische Forderung gegenüber Menschen, die teils bereits seit Jahrzehnten oder sogar ihr ganzes Leben in Österreich leben. Sie wären in ihrer unmittelbaren Existenz bedroht.
MigrantInnen für den Lohndruck
Es gibt aber noch einen weiteren Aspekt, der oft untergeht: Wenn Menschen wissen, dass sie im Fall der Arbeitslosigkeit keinerlei finanzielle Unterstützung bekommen, dann müssen sie alles tun, um ihren Arbeitsplatz nicht zu verlieren. Proteste bei Verstößen gegen das Arbeitsrecht, bei Unterbezahlung oder bei schlechter Behandlung hätten Unternehmen von diesen potenziell existenzbedrohten Menschen kaum zu erwarten.
Betriebe hätten durch diese Maßnahme Arbeitskräfte, die extrem ausgebeutet werden können und gleichzeitig als LohndrückerInnen für den gesamten Arbeitsmarkt dienen. Dies ist ein Beispiel für die Positionierung der »Freiheitlichen«: grundsätzlich völkisch, wobei der Rassismus gleichzeitig flexibel ist und vor allem ökonomischen Interessen verschiedener Kapitalfraktionen dient.
Angriffe aufs Arbeitsrecht
Angriffe auf das Arbeitsrecht sind für die FPÖ zentral. Bereits seit Jahren will die Partei vor allem die Tarifverträge, in Österreich »Kollektivverträge« (KV) genannt, aushebeln. Dort sind unter anderem die Arbeitszeiten, die Mindestgehälter oder Urlaubs- und Weihnachtsgeld geregelt.
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Wenn es nach der FPÖ geht, sollen KVs auf die betriebliche Ebene verlagert werden, was eine weit bessere Verhandlungsposition für die Unternehmen bedeuten und Beschäftigte gegeneinander ausspielen würde. Im Wirtschaftsprogramm 2017 kritisiert die FPÖ auch ein angeblich »überbordendes Arbeitsrecht« und fordert die Reduktion der Kompetenzen des Arbeitsinspektorates, das die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen kontrolliert.
Umbau des Staates
Ganz anders hingegen positionieren sich FPÖ und ÖVP, wenn es um Steuern für Unternehmen geht. Hier kann es gar nicht niedrig genug gehen. Auf bis zu 16 Milliarden Euro an Steuereinnahmen soll laut Parteichef und Vizekanzler Strache verzichtet werden. Das Fehlen einer solchen Summe würde den österreichischen Sozialhaushalt insgesamt infrage stellen.
Und das wiederum zeigt auch, worum es eigentlich geht: Die geplanten Maßnahmen von FPÖ und ÖVP sind weit mehr als die Summe ihrer Teile.
Das Programm der neuen rechts-rechten Regierung in Österreich kann und muss als Frontalangriff auf große Teile der Bevölkerung gewertet werden. Die Vorhaben von Schwarz-Blau laufen auf einen Gesamt-Umbau des Staates hin, parallel dazu sollen Polizei und Militär ausgebaut werden.
Ob der neoliberale und autoritäre Umbau Österreichs gelingt, wird zentral davon abhängen, ob und in welchem Ausmaß sich eine soziale Opposition von unten gegen diesen Umbau entwickelt. Die Auseinandersetzung hat dabei auch internationale Bedeutung, die »Alternative für Deutschland« etwa schielt aktuell nach Süden. Die Entwicklung in Österreich ist auch für Deutschland eine eindeutige Warnung.