Immer öfter behindert die Polizei die Berichterstattung von Demos. Nun gehe ich vor Gericht.
Kurz nach dem Heurigenort Grinzing die erste Polizeikontrolle. Die gesamte Straße ist abgesperrt, alle Autos müssen anhalten, Ausweise werden verlangt. Erst der Presseausweis erlaubt mürrisches Durchwinken und die Weiterfahrt. Dutzende BeamtInnen sind an diesem Herbsttag am Fuße des Kahlenbergs aufgeboten, dem Hausberg der WienerInnen.
Gleichzeitig mit uns trifft auch ein Linienbus ein. Endstation für diesen Bus der Linie 38A wäre eigentlich die Aussichtsplattform am Kahlenberg, ein beliebtes Ausflugsziel. Doch auf einmal müssen alle Fahrgäste aussteigen, PolizistInnen verlangen Ausweise, Rucksäcke werden kontrolliert.
Auch nach der Kontrolle darf niemand weiterfahren, dieser und auch die folgenden Busse fahren den Rest der Strecke auf den Berg vollständig leer. Wohlgemerkt: es handelt sich hier um einen normalen Bus der Wiener Linien auf seiner üblichen Fahrtroute.
Sperrbezirk Kahlenberg
Es ist der 9. September 2017. Die neofaschistische Gruppe „Identitäre Bewegung“ (IB) hat für diesen Tag einen Aufmarsch am Kahlenberg angekündigt. Offensichtlich ist es ein Ausweichmanöver. Denn in den vergangenen Jahren waren die Aufmärsche der IB in Wien jedes Mal von massiven Protesten begleitet.
2017 sind die rechten Kameraden mit ihrem Aufmarsch im Frühjahr dann erstmals nach Berlin ausgewichen. Die Hoffnung war offenbar, dass sie dort ungestörter marschieren könnten – eine Hoffnung, die sich nicht bestätigte.
Ein kleines Event wollten die FaschistInnen in Wien dann aber offenbar doch durchführen. Der Kahlenberg bietet sich dabei an. Er kann symbolisch leicht aufgeladen werden, denn von dort rückten im Jahr 1683 jene (übrigens zu einem Gutteil polnischen) Truppen vor, die die osmanische Belagerung Wiens auflösten.
Dieses Ereignis ist für die österreichische Geschichtsschreibung bis heute sehr bedeutsam – und wird auch von rechten und faschistischen Gruppen gern für ihre Propaganda benutzt.
Behinderung der Berichterstattung
Gleichzeitig bietet sich der Kahlenberg auch für einen verschämten faschistischen Aufmarsch an. Er liegt am Rande der Stadt, die Spitze ist nur auf wenigen Straßen erreichbar, das Gelände ist von der Polizei (bei kleineren Protesten) leicht abzusperren.
Der Schutz des faschistischen Aufmarschs nahm am 9. September dabei solche Ausmaße an, dass auch die journalistische Berichterstattung massiv beeinträchtigt wurde. Ich gehe nun dagegen vor Gericht.
Die erste Polizeikontrolle am Beginn der Wiener Höhenstraße hatten wir nun also hinter uns gebracht. Wir, das sind eine Kollegin und ich, beide mit Presseausweis. Wir können auch mit dem Auto weiterfahren – ganz im Gegensatz zu den Fahrgästen aus dem Linienbus, die nun zu Fuß den Weg bergauf antreten müssen.
Die meisten von ihnen dürften TeilnehmerInnen der antifaschistischen Protestkundgebung sein. Diese hatten sich kurz zuvor bei einer nahegelegenen U-Bahn-Station getroffen, um dann gemeinsam anzureisen.
Manch irritierte Blicke sprechen allerdings dafür, dass die Polizei zusätzlich auch noch alle TouristInnen und AusflüglerInnen aus dem Bus geholt hatte. Offensichtlich soll der Kahlenberg heute exklusiv für den neofaschistischen Aufmarsch reserviert werden.
Gleichzeitig ist aber auch unklar, ob die gesamte Amtshandlung rechtlich gedeckt ist. Denn eigentlich gibt es ein Urteil vom September 2016, das genau solche pauschalen Buskontrollen verbietet – es scheint die BeamtInnen nicht zu kümmern.
Und die nächste Kontrolle
Doch bereits wenige hundert Meter später folgt auch für uns die nächste Kontrolle. PolizistInnen weisen uns an, auf einen Parkplatz am Rand der Straße zu fahren und dort stehen zu bleiben.
Erst nach einigem Hin und Her ist die Weiterfahrt möglich. Schließlich kommen wir trotz der bisherigen Verzögerungen doch noch zum großen Parkplatz vor der Aussichtsplattform am Kahlenberg.
Rund zwanzig TeilnehmerInnen der neofaschistischen Kundgebung sind bereits um einen Klein-LKW versammelt. Offenbar beginnt gerade der Aufbau der Lautsprecheranlage und der Technik. Ebenfalls bereits vor Ort: der in Wien gut bekannte Kleinbus der Freien Exekutivgewerkschaft (FEG) / Akionsgemeinschaft Unabhängiger und Freiheitlicher (AUF).
Diese „Gewerkschaft“ ist der FPÖ zuordenbar und in der Polizei gut verankert. Mit ihrem Bus versorgen Polizei-Kader der FPÖ/FEG bei fast allen Demos in Wien die PolizistInnen mit Essen und Getränken. „Einsatzbetreuung AUF/FEG“ steht auf ihren Poloshirts und auf ihren Bus, der einem Polizeiauto zum Verwechseln ähnlich sieht (und auch oft innerhalb polizeilicher Sperrzonen gesehen wird).
Blau, blau, blau ist meine liebste Farbe …
Ich fotografiere den Kleinbus und die Verteilung der Verpflegung an die Polizei – Die bösen Blicke jener Beamtinnen, die gerade vom blauen Buffet genascht hatten, deuten darauf hin, dass ihnen solche Fotos nicht unbedingt Recht sind.
Ansonsten passiert nichts weiter, doch als wir in unser Auto einsteigen, folgt die Überraschung. Einige der BeamtInnen, die wir zuvor gemeinsam mit der FPÖ fotografiert hatten, wollen nun auf einmal eine Identitätsfeststellung durchführen.
Die folgende Szenerie gestaltet sich etwas skurril. Ich übergebe den Ausweis, verlange aber gleichzeitig Auskunft über die rechtliche Grundlage. Ein Polizist nennt mir den Paragraf 35 des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG). Ich nehme mein Telefon, überprüfe den Paragrafen und stelle dann zu den BeamtInnen fest, dass dieser Paragraf meines Erachtens in dieser Situation keinerlei rechtliche Handhabe für eine Identitätsfeststellung bietet.
… blau, blau, blau ist alles was ich habe
Die Reaktion ist endenwollend erhellend. Der Beamte verweist noch mehrmals auf den gleichen Paragrafen, weitere sachdienliche Auskünfte sind von ihm nicht zu erhalten. Ein Anruf bei der Pressestelle der Landespolizeidirektion Wien bringt ebenfalls keine Auflösung.
Doch als Reaktion auf meinen Anruf bei der Pressestelle greift der Polizist zum Funkgerät und gibt durch, dass er gerade eine Amtshandlung durchführt – etwas, was später noch bedeutsam werden wird.
Die Amtshandlung ist nach rund 15 Minuten endlich beendet. Wir beschließen, bereits etwas unter Zeitdruck, in Richtung der antifaschistischen Protestkundgebung zu fahren, um ein komplettes Bild über die Lage zu bekommen. Weit kommen wir allerdings nicht.
Rechts und links der Straße stehen auf einmal dutzende BeamtInnen. Wir werden sofort angehalten, das Verhalten der BeamtInnen wirkt, als wären wir durch den Funkspruch bereits angekündigt worden. Prompt folgt die nächste Identitätsfeststellung, diesmal zusätzlich begleitet von einer intensiven Kontrolle unseres Wagens („Und jetzt überprüfen wir noch die Lichtanlage“).
Auf Nachfrage wiederum der Verweis auf den Paragraf 35 SPG. Zusätzlich folgt der Hinweis, dass bei Verweigerung der Ausweisleistung Zwangsmittel angewendet werden würden. Ein weiterer Anruf meinerseits bei der Presseabteilung der Wiener Polizei sowie eine Kommunikation über Twitter mit dem Account der Landespolizeidirektion verlaufen ergebnislos.
Weder gibt es eine zusätzliche rechtliche Begründung noch eine Anweisung an die BeamtInnen vor Ort, die Amtshandlung zu stoppen. Wieder vergeht wertvolle Zeit, die nötig wäre, um ein vollständiges Bild vom Aufmarsch und den Protesten zu bekommen.
Es riecht nach Schikane
Die antifaschistischen Proteste können wir nun nicht mehr dokumentieren, die Zeit ist zu knapp geworden. Zurück also zum Aufmarsch der FaschistInnen. Viele sind es nicht geworden, bestenfalls 140 Personen haben sich bei den Abendland-RetterInnen eingefunden -andere KollegInnen kommen gar auf nur 120 („inklusive JournalistInnen“).
Bei dieser Anzahl ist ein ganzer Bus aus der Steiermark bereits mitgezählt, in Wien bekommt die rechte IB-Truppe offenbar keinerlei Fuß auf dem Boden. Auffällig allerdings: die Kundgebung wird von Ordnern abgeschirmt, die durchgehend Taschenschirme tragen. Solche Schirme können auch als Knüppel eingesetzt werden.
Die Ordner der IB am Kahlenberg sind durchgehend mit Klappregenschirmen ausgerüstet. Erweckt den Eindruck der Bewaffnung. #BlockIt pic.twitter.com/X9IrSlboSA
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) September 9, 2017
Als der faschistische Marsch schließlich losgeht, sind wir ebenfalls bereit. Doch wiederum haben wir die Rechnung ohne die Polizei gemacht.
Denn als wir den Aufmarsch fotografieren wollen, hindert die Polizei uns und andere PressefotografInnen daran, weiter nach vorne zu gehen. Die letzte Reihe der Polizei schirmt so die TeilnehmerInnen des Aufmarschs vor der Presse und vor Kameras ab. Bilder können nur im Rücken des Marsches und hinter der Polizei gemacht werden.
Bestenfalls 140 auf Wiener Fackelzug der IB. Mitten durch Nichts am Leopoldsberg. Stille. So sieht eine Niederlage aus. 20.06h #blockit pic.twitter.com/RlCx4Q6F1j
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) September 9, 2017
Das persönlich/polizeiliche Resümee des Abends sind also insgesamt vier Identitätsfeststellungen durch die Polizei und damit die Verhinderung der adäquaten Dokumentation der Ereignisse des Tages. Zusätzlich folgte dann noch die Behinderung beim Fotografieren des faschistischen Marsches.
Nun geht es vor Gericht
Ich habe nun eine Beschwerde gegen das Vorgehen der Polizei beim Verwaltungsgericht Wien eingebracht, vertreten von Rechtsanwalt Clemens Lahner und unterstützt vom Grün-Alternativen Verein zur Unterstützung von BürgerInnen-Initiativen (BIV). Der Prozess wird in den nächsten Monaten stattfinden, ein Verhandlungstermin steht noch nicht fest.
Um das klarzustellen: Persönlich habe ich auch im Falle eines erfolgreichen Prozesses keinerlei Gewinn. Gleichzeitig kostet so etwas Zeit, Arbeit und Nerven.
Die Kosten für meinen Rechtsanwalt sind diesmal gedeckt, doch der Fall nimmt viel Zeit ein, in der ich andere Projekte durchführen könnte. Gleichzeitig wird es nicht der letzte Fall sein. In diesen Tagen bereite ich eine Klage gegen ein rechtsextremes Medium vor, wo ich keine finanzielle Absicherung habe. Wenn Du mich unterstützen möchtest, dann bedanke ich mich sehr herzlich!
Klick hier, hier kannst Du das sehr einfach tun.
Für mich geht es in diesem Fall auch um grundlegende Fragen: wenn Behörden versuchen, die Möglichkeiten für Dokumentation und Recherche immer weiter einzuschränken, dann müssen sich JournalistInnen, AktivistInnen, BürgerInnen dagegen wehren.
Viele journalistische KollegInnen ärgern sich immer wieder über solche Behinderungen, etwa bei den umfangreichen Sperrzonen rund um den Akademikerball oder jüngst bei den Tag-X-Protesten in der Wiener Innenstadt. Doch schlussendlich will niemand den mühsamen Rechtsweg bestreiten.
Diese Herangehensweise ist menschlich verständlich. Doch wenn niemand etwas tut, dann werden die Spielräume künftig immer enger werden. Und gerade in den nächsten Jahren werden wir alles tun müssen, um das Recht auf kritische Berichterstattung und auf umfangreiche und freie Recherche zu verteidigen.
Bist Du JournalistIn? Bist oder warst Du ebenfalls bereits von Einschränkungen der Berichterstattung betroffen? Ich freue mich, wenn Du Dich bei mir meldest. Wir sollten uns vernetzen – und vielleicht können wir eine größere Plattform zur gegenseitigen Unterstützung aufbauen.
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