Bedeutet Freiheit dasselbe für Linke und Rechte, für Konzernchefs und Arbeitende, für geflüchtete Menschen und für Grenzbeamte? Und wieviel Freiheit ist eigentlich wünschenswert? Eine Annäherung in sieben Thesen.
1. Freiheit hat unzählige Facetten
Was Freiheit ist und was nicht? So vielfältig wie die Lebensverhältnisse und Lebensentwürfe, werden auch die Antworten sein. Für manche gestresste Eltern kann Freiheit bedeuten, einmal einen Tag für sich allein zu haben. Für andere, ihr Kind in die Arme schließen zu können, weil sie getrennt waren.
Ein junger Mann sucht seine Freiheit in der unternehmerischen Selbstständigkeit. Eine ältere Frau wäre froh, wieder einen Arbeitsplatz zu haben. Für manche bedeutet Freiheit, nur unter Menschen gleicher Hautschattierung zu leben. Für andere ist der ersehnte Weg in die Freiheit der letzte Schritt aus dem Schubhaft-Gefängnis.
Manche sagen, Freiheit sei die Freiheit zur individuellen Selbstverwirklichung. Anderen fehlt der kollektive Zusammenhalt. Für einen Menschen bedeutet Freiheit, im Luxusrestaurant unter hundert Geschmäckern zu wählen. Für den anderen sauberes Trinkwasser.
Für Menschen aus diskriminierten Bevölkerungsgruppen bedeutet Freiheit, aus dem Schatten zu treten und gleiche Rechte einzufordern. Andere fühlen sich von dieser Freiheit bedroht.
Manche sagen, dass die Aufgabe der Freiheit der notwendige Preis für mehr Sicherheit ist. Andere widersprechen und meinen, dass Freiheit mit Sicherheit stirbt.
Es gibt kein gemeinsames Verständnis von Freiheit, das für alle Menschen gültig ist.
2. Freiheit von Unterdrückung heißt nicht Freiheit zur Unterdrückung
Links und Rechts. Natürlich, zwei sehr unscharfe Begriffe. Dennoch seien sie als Ausgangspunkt erlaubt. Linke Freiheit in ihrer ursprünglichsten Bedeutung ist die Forderung nach Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Die Freiheit von materieller Not, die Freiheit zum individuellen Lebensentwurf, die Freiheit zur Gestaltung der eigenen und der kollektiven Zukunft.
Rechte Freiheit hingegen ist die Freiheit eines individuellen Aufstiegs und von individuellen Bedürfnissen. Es ist eine elitäre Freiheit des Ellbogens. Es ist auch die Freiheit des weißen Mannes deutscher Sprache, alle anderen abzuwerten, die nicht so weiß, deutsch und männlich sind wie er. Diese Freiheit trägt in sich bereits autoritäre Züge wie die Wolke den Regen. Es ist ein Krieg aller gegen alle. Wer verliert, ist verloren.
Mit diesen unterschiedlichen Zugang einher geht eine konträre Bewertung des Öffentlichen und des Privaten. Linke Freiheit will das Private öffentlich machen. Gewalt gegen Frauen, Männerrollen, sprachliche Diskriminierungen.
Rechte Freiheit hingegen will zwar einerseits die Freiheit des öffentlichen Raums einschränken und privatisieren. Dort soll nur geschehen, was einer bestimmten Konvention gehorcht. Private Räume hingegen sollen möglichst privat bleiben. Das Private allzu öffentlich zu machen, wäre in dieser Sichtweise eine Beschränkung der Freiheit.
Beide Seiten verwenden also das gleiche Wort. Doch die Bedeutung ist komplett konträr.
3. Mehr Staat bedeutet weniger Freiheit
Eine Mauer aus Ziegelsteinen in der Ausstellung „Der Wert der Freiheit“ im Wiener Belvedere21 formte jüngst die Worte „When Freedom exists, there will be no state“ – „Wenn Freiheit existiert, wird es keinen Staat geben“. Es ist ein Zitat von W.I. Lenin aus seinem Werk „Staat und Revolution“. Davor stehen im Buch noch die Worte: „Solange der Staat existiert, gibt es keine Freiheit“.
Die Ziegelsteine des Kunstwerks sind fragil. Dieses Denkmal, dieser Nicht-Staat, kann gestürzt werden und würde zerbrechen. Eine Freiheit ohne Staat. Die Worte stehen in scharfem Kontrast zur späteren monströsen Superstaatlichkeit des stalinistischen Terrors.
Die Überwachungsmethoden, die heute zur Verfügung stehen, würden alle autoritären Systeme der Geschichte lauthals jubeln lassen. Absurderweise fügen wir uns gern und freiwillig. Dafür erhalten wir den vorgeblichen Komfort mobiler Telefone, sozialer Netzwerke und sogar intelligenter Kühlschränke.
Auch private Social-Media-Konzerne stehen heute im Fokus. Sie sollen mit immer neuen Filtern sicherstellen, dass bestimmte Inhalte nicht verbreitet werden. Die Frage, die allerdings kaum je gestellt wird: Sind Facebook, Twitter und Co. tatsächlich vertrauenswürdig genug, um ihnen den Schutz des Internets anzuvertrauen? Und wer kontrolliert die Kontrolleure? Sollte das nicht der Staat tun? Doch vertrauen wir dem Staat?
Die These zum Widerspruch von Staat und Freiheit ist zeitlos. Kann es wirklich Freiheit geben, solange der Staat existiert? Wieviel Freiheit können wir aufgeben für die Behauptung, dadurch Sicherheit zu gewinnen? Was macht die Angst vor der Unsicherheit mit uns? Wieviel Überwachung wollen wir akzeptieren? Und haben wir alle wirklich nichts zu verbergen? Wirklich? Nichts?
4. Es gibt keine Freiheit ohne materielle Sicherheit
Bert Brecht lässt seine Figur „Macheath“ in der Dreigroschenoper die berühmten Worte rezitieren: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“. Er hat recht. Vor allem anderen bedeutet Freiheit die Deckung unmittelbarer Grundbedürfnisse. Trinkwasser, Nahrung, ein Dach über dem Kopf. Aber auch die Freiheit, schlafen zu gehen ohne Angst vor Bomben, Drohnen oder Vergewaltigung.
Bis zu 1,5 Millionen Menschen leben in Österreich an oder unter der Armutsgrenze. Freiheit wäre für diese Menschen oft bereits, ohne Angst den Kassenbeleg im Supermarkt zu erwarten, die Miete oder die Stromabrechnung.
Es wäre ein sehr neoliberaler Freiheitsbegriff, der über individuelles Glück philosophiert und dabei die materiellen Grundlagen der Freiheit übersieht.
5. Freiheit ist die Freiheit zur Selbstbestimmung
Freiheit bedeutet Licht für jene, die lange im Schatten verharren mussten. Die Freiheit, nicht diskriminiert zu werden, nicht unterdrückt. Es betrifft Frauen, es betrifft Menschen mit Migrationshintergrund, es betrifft Menschen mit Behinderungen, es betrifft Schwule, Lesben, Transgender, Intersexuelle.
Freiheit ist die Freiheit zum eigenen Lebensentwurf. Freiheit ist die Freiheit, ein Leben ohne Angst zu führen. Freiheit ist die Freiheit, Mensch sein zu dürfen. Es kann keinen aufrichtigen Wunsch nach Freiheit geben, der nur die eigene Unfreiheit wahrnimmt, doch alle anderen Unfreiheiten übersieht oder übersehen will.
6. Das Recht zur Migration ist die Grundlage jeder Freiheit
Die zwangsweise Verhinderung von Migration zwingt gleichzeitig zur Errichtung von Mechanismen der Abwehr. Tausende Leichen im Mittelmeer mögen in den Wellen versinken. Sie sind nichtsdestoweniger real. Und manchmal kommen sie zu Bewusstsein, wenn eine Leiche an den Grenzen der Festung Europa angespült wird.
Das „Zentrum für politische Schönheit“ etwa hat 2015 für Aufsehen gesorgt, als die Gruppe Opfer der Abschottung aus Grabstätten an den EU-Außengrenzen exhumiert und nach Deutschland überführt hat. Die Aktion „Die Toten kommen“ hat Leichenberge in Individuen verwandelt. Flüchtlinge in Menschen.
Diese Toten sind kein Betriebsunfall. Sie sind die unausweichliche Folge einer Abschottung gegen Menschen, die vor Leid, Hunger, Krieg und Elend flüchten. Und die Abschottung macht unfrei. Jene, die an ihren Zäunen sterben. Und jene, die die Zäune errichten.
7. Freiheit ist das Recht zum Widerspruch
Eine deutsche Datenbank für Werbung spuckt 189 verschiedene Werbeslogans mit dem Begriff Freiheit aus. Doch kann Freiheit bereits darin erschöpft sein, in der kapitalistischen Warenwelt dieses Joghurt kaufen zu dürfen oder jenes? Janis Joplin sang einst in Me and Bobby McGee: „Freedom’s just another word for nothing left to lose“ – Freedom Freiheit sei nur ein anderes Wort dafür, nichts mehr verlieren zu können. Doch Freiheit bedeutet auch, etwas gewinnen zu können.
Menschen können sich selbst ermächtigen. Die protestierende Krankenpflegerin aus Wien. Der geflüchtete Künstler aus dem Irak. Die kämpferische Dragqueen aus Paris. Der streikende Hafenarbeiter aus Griechenland. Die politischen AktivistInnen, die auf allen Kontinenten für eine bessere Welt einstehen.
Sie alle stehen sinnbildlich für das Recht auf Freiheit. Für den Widerspruch und die Revolte, bis es allumfassende Freiheit gibt. Und dann wiederum für den Widerspruch gegen die Behauptung, dass die Freiheit nun verwirklicht sei. Denn die Freiheit, sie ist vor allem ein permanenter Prozess.
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