Zieht Fußball besonders viele Arschlöcher an?

[Vice] Homophobe Banner, sexistische Sprechgesänge und gewalttätige Übergriffe: Wir haben uns angeschaut, wie schlimm es um die Fans wirklich steht – und ob es eigentlich einen Unterschied zu anderen Sportarten gibt.

[Erstveröffentlichung: Vice] Fußballfans sorgen oft für große Empörung. In Österreich gab es erst im Februar wieder enorme Aufregung. Damals stand sogar das große Wiener Derby zwischen Austria und Rapid kurz vor dem Abbruch. Fans von Rapid hatten Gegenstände auf das Spielfeld geworfen und dabei auch Austria-Kapitän Raphael Holzhauser getroffen.

Aus beiden Fankurven kamen beim Derby auch zahlreiche homophobe Beschimpfungen. „Schwuler FAK!“ skandierten Rapid-Fans gegen den FK Austria Wien, Austria-Fans schrien „Schwuler SCR!“ gegen den Sportclub Rapid. Auch homophobe Banner wurden in beiden Fankurven präsentiert.

In der kommenden Bundesligarunde legte der harte Kern der Rapid-Fans dann sogar noch nach. Holzhauser wurde auf einem Banner als „Warmer“ beschimpft. Gezeichnet war das Banner von den „Ultras Rapid“, der größten Fangruppe der Hütteldorfer. Auf einem weiteren Banner wurde das Logo der Austria mit Symbolen der LGBT-Bewegung versehen.

Auch Fans der Austria legten noch eins drauf: Bei nachfolgenden Spiel gegen die Admira gab es wieder Sprechchöre gegen den „schwulen SCR“, zusätzlich flogen Schneebälle aufs Feld. Dass Austria und Rapid bei diesen beiden Matches nicht einmal gegeneinander spielten, scheint nicht weiter von Bedeutung gewesen zu sein.

Die homophoben Vorfälle im Derby wurden danach in der Öffentlichkeit breit diskutiert. Eine erfreuliche Ausnahme, denn homophobe und sexistische Sprechchöre sind in vielen österreichischen Fankurven bis heute die Norm und nicht die Ausnahme.

Nazis und Homophobie rund um das Spiel Rapid gegen Slovan

„Oft haben mich die gegenseitigen homophoben Beschimpfungen beim Wiener Derby fast an einen Wechselgesang der beiden Fangruppen erinnert“, sagt Caroline. Sie ist seit ihrer Kindheit Rapid-Fan und auch ehemalige Vereinsmitarbeiterin. „Ich war eigentlich ziemlich überrascht, dass das jetzt aufgegriffen worden ist“, meint die langjährige Stadiongängerin.

Tatsächlich wären die homophoben Meldungen wahrscheinlich auch diesmal untergegangen, wenn es nicht die Wurfgegenstände auf Austria-Kapitän Holzhauser und die Spielunterbrechung gegeben hätte. In Teilen der Öffentlichkeit wurde nach dem Spiel der Ruf nach harten Strafen für Rapid laut; auch sogenannte Kollektivstrafen wurden gefordert, wo Teile des Stadions oder das gesamte Stadium gesperrt werden.

Und tatsächlich verhängte die Bundesliga eine deftige Strafe: 100.000 Euro sowie eine Sperre der Fantribüne und angrenzender Sektoren für ein Spiel. Rapid hat als Reaktion angekündigt, diese Sperre zu umgehen, indem der Sektor der Gäste für eigene Fans zur Verfügung gestellt wird. Neuerliche Strafen stehen wegen dieser Umgehung im Raum.

Die Sperre von Sektoren oder ganzen Stadien ist als Mittel sehr umstritten. Teils werden sie als effektive Maßnahme gesehen, denn sie bedeuten einen spürbaren finanziellen Verlust für die Vereine. Es besteht die Hoffnung, dass die Vereine dadurch gezwungen werden, bei Übergriffen oder Diskriminierung härter durchzugreifen. Doch viele Fans lehnen Kollektivstrafen ab.

Die Argumente haben durchaus etwas für sich: Durch Stadionsperren werden tausende Menschen für Verfehlungen weniger bestraft. Sie können das Spiel ihres Lieblingsteams nicht sehen und werden, falls sie ein Abo haben oder die Karten schon gekauft sind, auch finanziell schlechter gestellt. Schließlich kann es auch einen Solidarisierungseffekt mit möglichen TäterInnen geben. In Deutschland wurde auf diese Kritik bereits reagiert: Im März wurde beschlossen, dass Kollektivstrafen künftig nur noch bei besonders schwerwiegenden Fällen verhängt werden.

Sind wirklich alle Leute in den Kurven homophob? Und ist diese Art von Diskriminierung ein spezielles Fußball-Phänomen?

Das Thema Strafen könnte für Österreich bald noch an Brisanz zunehmen. Vor allem für Ultra-orientierte Fußballfans ist der Einsatz von Pyrotechnik, also leuchtenden Fackeln, ein elementarer Bestandteil der Fankultur. Für das kontrollierte Abbrennen von „Pyro“ vor dem Sektor gab es bisher Ausnahmeregelungen in Österreichs Stadien. Doch das FPÖ-geführte Innenministerium möchte künftig keinerlei Genehmigungen mehr erteilen. Die Klubs der Bundesliga und viele Fans protestieren bereits.

Österreichische Rechtsextreme feiern bei deutschem SS-Festival

Die Folge des Verbots ist absehbar: Pyro wird wieder vermehrt unkontrolliert mitten im Sektor statt davor abgebrannt werden. Das aber kann aufgrund der enormen Hitzeentwicklung tatsächlich gefährlich sein. Fans werden vermehrt kriminalisiert werden und in der Öffentlichkeit als Bösewichte verkauft – obwohl es bisher eine weitgehende funktionierende Regelung gab.

In anderen Sportarten wird das Thema hingegen oft viel entspannter gesehen. So kommt „Pyro“ auch bei Ski-Rennen immer wieder zum Einsatz. Dort führt sie allerdings zu weit weniger Aufregung. Sogar ein polizeilicher Einsatzleiter durfte in der Vergangenheit schon mal behaupten, dass Pyrotechnik „beim Skisport Freude ausdrücken soll und beim Fußball meist etwas anderes bedeute“. Wo genau der Unterschied sein soll, ließ er offen.

Für das Bild der Fußballfans in Österreich waren die Ereignisse der letzten Monate jedenfalls nicht besonders positiv. Doch sind tatsächlich alle Fans in den Kurven homophobe Verrückte, die Gegenstände auf ihre Gegner werfen? Und ist das alles ein spezielles Fußball-Phänomen? Sagen wir so: Daran darf zumindest gezweifelt werden.

Gegenstände etwa, die auf Sportler geworfen werden, kommen leider nicht nur im Fußball vor. Erst Ende Jänner wurde der norwegische Skifahrer Henrik Kristoffersen beim Slalom in Schladming während seiner Fahrt von Fans mit Schneebällen beworfen. Die Forderung nach einer (Teil-)Sperre des Fanbereichs wurde hier allerdings nirgends erhoben.

„Schwul runtergefahren“

Und wie ist das mit der Homophobie? Immer wieder wird zu Recht problematisiert, dass es im Fußball so gut wie keine geouteten männlichen Spieler gebe. Doch real unterscheidet das den Fußball nicht von vielen anderen Sportarten, darunter auch dem Skisport, Österreichs Nationalheiligtum. Dort allerdings ist es kein Thema, dass es keine Outings gibt.

Im Vorfeld der Olympischen Spiele in Sotschi erklärte Peter Schröcksnadel, Präsident des österreichischen Skiverbands, über Diskriminierungen für Homosexuelle in Russland, ihm wäre selbst „lieber, es wird für Familien geworben als es wird für Homosexualität geworben“. Missbrauchsskandale im Skisport und die Relativierungen durch den Verband beschäftigen ebenfalls seit Monaten die Medien. Ständig werden neue Fälle bekannt.

Es passt in dieses Bild, dass die Tiroler Skifahrerin Ricarda Haaser im Februar im ORF meinte, dass ihr ein Lauf bei den olympischen Spielen nicht gut gelungen wäre – sie sei „schwul runtergefahren“. All das ist wohl kaum eine Umgebung, wo SportlerInnen ermutig werden, zu ihrer sexuellen Orientierung zu stehen.

Das Problem fehlender Outings zieht sich auch durch viele andere Sportarten. Besonders schwierig wird es bei Sportarten mit typisch männlichen Rollenzuschreibungen. So gibt es in den fünf großen US-Sportverbänden NHL, NBA, NFL oder MLB aktuell keinen einzigen geouteten Spieler, wie die NZZ schreibt.

Die Klubs spielen ebenfalls nicht immer eine positive Rolle. 2017 sorgte etwa eine Eishockey-Partie im englischen Sheffield für Aufregung. Bei der sogenannten Kiss-Cam hatte sich ein schwules Paar geküsst. Das sei „widerlich“, rief der Stadionsprecher darauf hin ins Mikro und forderte die Security auf, das Paar aus dem Stadion zu werfen.

Die Christopher Street in New York – Symbol der weltweiten LGBTIQ+-Community

Doch es geht keineswegs nur um den Sport. Der bekanntlich rechte Liedermacher Andreas Gabalier etwa spricht in einem Interview mit dem Merkur über unsere angeblich „genderverseuchte Zeit“. Er fordert, dass schwule Paare ihre „Sexualität nicht ganz so breit in der Öffentlichkeit austreten“ sollten – „aus Respekt unseren kleinen Kindern gegenüber“. Glaubt irgendjemand, dass die Stimmung gegenüber Schwulen auf einem Konzert von Gabalier substantiell anders ist als die Stimmung in vielen Fußballkurven?

Glaubt irgendjemand, dass die Stimmung gegenüber Schwulen auf einem Konzert von Gabalier substantiell anders ist als die Stimmung in einer durchschnittlichen Fußballkurve?

Das alles bedeutet natürlich nicht, dass es im Fußball keine Probleme gibt – es gibt sie und wir müssen darüber reden. Doch das Problem ist eben breiter. Die Beschimpfung anderer Menschen als „schwul“ oder „Hurensohn“ ist bis heute gesellschaftlich weithin anerkannt und üblich. Ab dem Kindergarten werden Kinder mit solchen Diffamierungen konfrontiert und übernehmen sie.

Wahrscheinlich gibt es auch gar nicht so wenige Menschen, die auf Nachfrage erklären würden, dass sie solche Beschimpfungen gar nicht diskriminierend meinen. Auch die „Fußballfans gegen Homophobie“ (FFGH)sehen das so. „Wir glauben nicht, dass jede Person, die im Stadion bei ‚Schwuuuuler…‘ mitschreit, Homosexuelle aktiv diskriminieren will“, schreibt die Initiative.

Doch das ändert nichts daran, dass Diffamierungen als „schwul“ und damit als „unmännlich“ oder „weich“ ganz klar homophob sind. Die so erzeugte Stimmung führt dazu, „dass homosexuelle Jugendliche sich kein Coming-Out trauen oder gemobbt werden bis hin zum Suizid“, kritisieren auch die FFGH.

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Nicht nur Homophobie und Sexismus, auch Rassismus und Antisemitismus sind bis heute in manchen Fußballkurven ein substantielles Problem. Vor allem die Situation bei der Wiener Austria sticht hervor. Der Verein bekommt sein Problem mit rechtsextremen Fangruppen seit Jahren nicht in den Griff. Bei anderen Vereinen, etwa Rapid oder dem LASK, gab und gibt es diesbezüglich immer wieder Schwierigkeiten mit einzelnen Fans oder (kleineren) Fangruppen.

Doch auch das kann nicht losgelöst von politischen Entwicklungen in der Gesamtgesellschaft gesehen werden. Die rechtsextreme FPÖ und die rechtskonservative ÖVP stellen gemeinsam die Regierung in Österreich. Es wäre wohl sogar eher verwunderlich, wenn sich das auf den Fußballplätzen des Landes überhaupt nicht widerspiegeln würde.

Die meisten großen Fußballkurven haben eine bestimmte soziale Zusammensetzung: Mehrheitlich männlich, jung, muttersprachlich deutsch, viele manuelle Berufe. Genau in dieser Gruppe holt die FPÖ seit Jahren besonders viele Stimmen. Die Stimmung in vielen Kurven entspricht also dem gesamtgesellschaftlichen Wahlverhalten. Dabei gibt es aber natürlich keinen Automatismus. So gelten die Kurven von Sturm Graz oder Wacker Innsbruck als relativ frei von Diskriminierung und rechten Gruppen.

Zu dieser sozialen Zusammensetzung der Kurven passt auch die Gewalt von Fußballfans, die immer wieder Thema ist. Hier geht es aber vermutlich real eher um ein Thema junger Männer als um ein Fußballthema. So erklärt Nikolaus Tsekas vom Verein Neustart, der unter anderem straffällig gewordene Jugendlichen betreut: „Junge Männer haben insgesamt eine höhere Gefährdung bei Gewaltdelikten, das ist wissenschaftlich anerkannt.“

„Junge Männer haben insgesamt eine höhere Gefährdung bei Gewaltdelikten.“

Laut Tsekas gibt es „dabei eine typische Kurve, knapp nach 20 ist die Wahrscheinlichkeit zur Straffälligkeit dann am Höchsten.“ Doch der Sozialarbeiter beruhigt auch: „Mit den richtigen Maßnahmen und Angeboten ist das zumeist gut in den Griff zu kriegen.“

Die Gewalt von Fußballfans verdient allerdings ebenfalls eine gewisse Differenzierung. Einerseits gibt es immer wieder Übergriffe auf unbeteiligte Fans, sogenannte Normalos. Das ist tatsächlich ein enormes Problem, wobei auch viele Fanszenen solche Übergriffe ablehnen. Etwas anders zu bewerten sind sicherlich Fans, die sich schlicht gegenseitig gerne verprügeln.

Oft gibt es auch sogenannte ausgemachte Geschichten, wo sich Fans verschiedener Lager in vorher festgelegter Anzahl treffen, um sich in die Fresse zu hauen. Bei solchen Aufeinandertreffen gibt es Regeln und Vorgaben, zum Beispiel was Waffengebrauch betrifft. Das muss jetzt niemand gut finden – aber letztlich unterscheidet es sich auch nicht substantiell von Boxkämpfen, die unter dem Jubel der ZuschauerInnen im Fernsehen übertragen werden.

Gewalt und diskriminierendes Verhalten sind also ein gesamtgesellschaftliches Problem. Die Fußballkurve ist schlichtweg ein Spiegel der Gesellschaft. Und genauso wie in der Gesellschaft gibt es auch in den Kurven ganz verschiedene Meinungen. Selbstverständlich etwa gibt es auch sehr viele Fans und Fangruppen von Austria und Rapid, die Diskriminierung und Übergriffe absolut ablehnen.

Rapid-Fans beschimpfen Austria-Spieler als „Judenschweine“

Bei der Austria gibt es zur Vernetzung eine Facebook-Seite, bei Rapid zeigt sich ebenfalls Bewegung. In vielen anderen Kurven, etwa bei Sturm Graz, dem SKN St. Pölten, beim Wiener Sportclub oder der Vienna, werden homophobe oder rassistische Sprechchöre vom Großteil der Fanszene sogar insgesamt klar abgelehnt.

Warum also sind Themen wie Homophobie, Rassismus oder Gewalt unter Jugendlichen, die eigentlich viel breiter diskutiert werden müssten, vor allem dann präsent, wenn es um Fußballfans geht? Und warum wird hier so pauschal geurteilt?

„Einige Leute halten Fußball für einen Kampf um Leben und Tod. Ich mag diese Einstellung nicht. Ich versichere Ihnen, dass es viel ernster ist.“

Eine mögliche Antwort gibt Bill Shankly, ehemaliger Trainer des FC Liverpool: „Einige Leute halten Fußball für einen Kampf um Leben und Tod .Ich mag diese Einstellung nicht. Ich versichere Ihnen, dass es viel ernster ist“, erklärte er einmal. Sehr viele Menschen lieben Fußball nicht nur, sie haben auch eine sehr starke Vereinsidentität und ein hohes Interesse an Berichten zum Thema.

Wichtige Spiele, wie das Wiener oder das Linzer Derby, sind bereits im Vorfeld ein zentrales Gesprächsthema unter allen Fußball-Interessierten. „Es ist das Spiel der Spiele in der Saison“, sagt Austria-Legende Andreas Ogris. „Man will natürlich der König von Wien sein“, pflichtet ihm Rapid-Ikone Christian Keglevits bei. Für die Medien bringt das runde Leder Quote oder Klicks.

Damit sollten besonders dramatische Berichte immer auch unter dem Aspekt der (medialen) Sensationslust hinterfragt werden. Doch auch staatliche Institutionen forcieren gern bestimmte Berichte und Themen. Der Hintergrund: Der Staat benutzt Fußballfans seit Langem auch, um repressive Instrumente auszuprobieren. So wurde etwa die Einschränkung von Pyrotechnik zuerst im Fußball ausprobiert, nun sorgt sie auch bei Demonstrationen immer wieder für Probleme.

>Der Mittelalter-Paragraf Landfriedensbruch wurde ebenfalls zuerst an Fußballfans getestet, in weiterer Folge wurden dann linke AktivistInnen deshalb verurteilt. Angelika Adensamer vom Netzwerk kritische Rechtswissenschaften sieht Fußballfans als Testfeld: „Es ist offensichtlich, dass in Fußball-Milieus ausprobiert wird, was später auch gegen soziale Protestbewegungen eingesetzt werden kann.“

Die Kurve ist vor allem für junge Fans auch eine Spielwiese für Grenzgänge. Vieles ist möglich, was woanders verpönt ist. Es darf geschrien werden, es darf geflucht werden, es gibt unbändige Emotionen. Auch die Gewaltbereitschaft mancher Fans ist unter diesem Aspekt zu sehen. Die Polizei hat oft wenig zu sagen, es gelten die Regeln der eigenen „aktiven Fanszene“.

Diese Regeln sind aber vor allem in der sogenannten Ultra-Bewegung sehr strikt. Zur Erklärung: Im Wesentlichen gibt es zwei verschiedene Arten der Unterstützung einer Mannschaft: den britischen Support und den italienischen Ultra-Stil.

Der britische Support bedeutet, dass eine Person einfach einen Anfeuerungsruf anstimmt und wer möchte, macht mit. Vorsänger gibt es keinen. Es braucht keine Choreografien, keine Fackeln und keine Trommeln. Die Unterstützung ist spielbezogen. In Wien ist etwa der Sportclub ein Beispiel für klassischen britischen Support.

Die meisten großen Kurven in Österreich hingegen setzen auf den Ultra-Stil. Oft sehr gut organisierte Fangruppen machen Choreografien, malen Banner und sorgen im Stadion mit Pyrotechnik für Leuchteffekte. Hier zur Veranschaulichung ein Beispiel von einer beeindruckenden mehrteiligen Choreo der linken Fans von Standard Lüttich aus Belgien.

Ein Vorsänger stimmt an, die Kurve stimmt ein. Das alles erinnert nicht zufällig an politische Kundgebungen.

Die „aktive Fanszene“ gibt auch die Sprechchöre vor. Ein Vorsänger stimmt an, die Kurve stimmt ein. Das alles erinnert nicht zufällig an politische Kundgebungen: Der Ultra-Stil ist in Italien Ende der 1960er-Jahre entstanden und hat sehr viele Elemente von politischen Protestformen übernommen.

Während des Spiels werden dann immer wieder kurzfristig Transparente hochgehalten. Dabei kann es um Botschaften an die Öffentlichkeit oder den Verein gehen, um politische Botschaften oder um die Verhöhnung des Gegners. Genau so war es auch bei den beiden jüngsten homophoben Bannern aus dem Rapid-Anhang.

Die Regenbogen-Parade 2019 in Bildern

Solche Banner werden durch die Reihen weitergereicht und sollen auf Kommando hochgehalten werden. Vor allem bei langen Bannern wissen allerdings nur wenige, was wirklich darauf zu lesen steht. Selbst, wenn sie dann hochgehalten werden, ist es in der Kurve kaum möglich, den Text zu lesen – viele Fans stehen ja weiterhin dahinter oder daneben. Die Weigerung, ein solches Banner ohne Kenntnis des Inhalts hochzuhalten, kann bis zu Drohungen oder Übergriffen führen. Im Stadion wird das verharmlosend „Abmahnung“ genannt.

Auch Austria-Fan Andreas hat das vor einigen Jahren erlebt: „Als ich gesagt habe, dass ich nichts präsentiere, wo ich nicht einmal weiß, was drauf steht, wurde ich beschimpft und bedroht.“ Er „löste“ das Problem dann so, dass seine Hände das Banner nicht berührten. „In Wirklichkeit ist das aber keine Lösung“, so Andreas. „Sobald es hochgehalten wird, stehe ich mit meinem Gesicht ja trotzdem genau dahinter.“

Sprechchöre sollten ebenfalls immer mitgerufen werden, „90 Minuten Dauersupport“ ist die Losung. Rapid-Fan Lukas erzählt, dass er mit 13 Jahren homophobe Sprüche ganz selbstverständlich mitgeschrien hat: „Einfach mitbrüllen, was der Vorsänger sagt. Es herrscht Gruppenzwang und Einheit.“ Heute kritisiert Lukas die „Mackerkultur“, wie er sie nennt. Ob es möglich sei, im Stadion gegen Homophobie zu protestieren? „An bestimmten Punkten im Stadion eventuell. Doch mitten im Block der aktiven Fanszene sicher nicht, da bekäme ich auf jeden Fall Probleme.“

„Gegen den modernen Fußball.“

Ein wichtiges Thema für die meisten Ultra-Gruppen ist der Kampf gegen die Kommerzialisierung des Sports. „Gegen den modernen Fußball“ lautet die Losung. Da geht es etwa um Anstoßzeiten, Eintrittspreise oder eben auch das Verbot der Pyrotechnik. Parallel dazu gibt es oft ein Bekenntnis zur ArbeiterInnenklasse. Viele Linke verwechseln das mit einem Bekenntnis zu den eigenen Idealen. Tatsächlich aber ist es für viele Fans möglich, rechts zu sein und sich trotzdem zur ArbeiterInnenklasse zu bekennen.

Austria: Schon wieder Neonazifahne im Vereinsdesign

Denn bei manchen Fangruppen stammt der Arbeiter-Bezug eher aus der Tradition der Nazi-Skinhead-Bewegung. Das passt auch zeitlich: In Österreich haben sich die ersten Ultra-Gruppen Ende der 1980er Jahre/Anfang der 1990er Jahre gebildet. Das ist genau der Zeitraum, wo die Nazi-Skinhead-Bewegung hierzulande ihren Höhepunkt hatte und NS-Kader versuchten, in den Stadien Einfluss zu gewinnen. Vor allem bei Rapid wollte die Nazi-Szene rekrutieren, sogar Aufkleber mit der Aufschrift „Adolf Hitler war Rapidler“ und andere nazistische Agitationsmaterialien wurden produziert. Fans sollen es mit den Worten „Jud war a kana, sunst wara Austrianer“ ergänzt haben.

Eine ernsthafte Debatte über das Problem Diskriminierung wird allerdings gerade im Fußballbereich durch ein wichtiges Element erschwert: die besondere Vereinsidentität vieler Fans. Indiskutables Verhalten der „eigenen“ Fankurve wird gern abgeschwächt oder mit einem Hinweis auf andere Fankurven relativiert. Manche, die im Freundeskreis niemals diskriminierende Beschimpfungen dulden würden, versuchen das mit der besonderen Situation im Stadion zu verharmlosen, oder damit, dass junge ArbeiterInnen es eben nicht besser wüssten.

Doch Diskriminierung wird nicht besser, wenn sie von proletarischen Jugendlichen verwendet wird – wobei nicht vergessen werden sollte, dass Rassismus, Sexismus und Homophobie auch in Österreichs Gymnasien und Unis ein permanentes Problem darstellen. Gleichzeitig fällt dabei unter den Tisch, dass es auch viele junge ArbeiterInnen gibt, die Diskriminierung nicht gut finden oder selbst betroffen sind – weil sie gleichgeschlechtlich lieben, Migrationshintergrund haben oder Frauen sind.

Wenn das Verhalten der „eigenen“ Kurve kritisiert wird, verweisen Fußballfans gerne auf Probleme im jeweils anderen Fanlager. Nach den Problemen im Wiener Derby etwa spielten manche Fans von Rapid und Austria in Foren und Social-Media-Gruppen buchstäblich Ping-Pong bezüglich der Homophobie in der jeweils eigenen und anderen Kurve.

Und natürlich ist es einfacher, auf andere Clubs zu zeigen. Es macht auch den unbeschwerten Stadionbesuch leichter. Kritik an anderen Fanszenen führt etwa nicht zu Problemen mit „eigenen“ diskriminierenden, rechtsoffenen oder rechten Fans. Das mag aus Sorge um die eigene Sicherheit verständlich sein, aber deshalb ist die Situation noch lange nicht OK.

Denn Fans, die ihren eigenen Verein lieben, sollten vor allem daran interessiert sein, dass dort alles in Ordnung kommt. Das bedeutet eben auch, den Finger auf die wunden Punkte zu legen.

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